Splitterndes Glas - Kriminalroman
schließlich eine gute Schule besucht. Benehmen und Sprechtechnik und all das. Aber in ihren Augen versteckte sich etwas anderes. Unter normalen Bedingungen konnte man es übersehen. Aber wenn man sie durch die Kamera betrachtete, war es da. Es wartete darauf, freigelassen zu werden. Wenn ihr die Handlung eine Möglichkeit eröffnete … nun, in einigen der Szenen war ihre Sexualität, wie Sie selbst gesagt haben, praktisch greifbar.«
|223| »Und Sie haben es auf die Leinwand gebracht.«
»Ich habe mir Mühe gegeben.«
»Eins verstehe ich nicht: Wenn sie das konnte, wenn sie so spielen konnte, warum war sie dann kein richtig großer Star?«
Hedden schnitt noch eine Ecke Käse ab.
»Schwierige Frage. Aber ich glaube, was sie anzubieten hatte, was sie von all den Jills und Belindas abhob, war damals nicht gefragt. Gelegentlich ein Sexsymbol war in Ordnung, aber eher wie Diana Dors, vollbusig und blond und ein bisschen übertrieben. Wie auf einer dieser Postkarten, die man in Badeorten am Meer kaufen kann. Stellas sexuelle Attraktion war nicht nur ihr Körper, sie kam auch von hier.« Hedden berührte mit den Fingern seine Schläfe. »Und davon wollte die britische Filmindustrie nichts wissen. Ja, wenn ›Splitterndes Glas‹ ein Vermögen an den Kinokassen gemacht hätte, wäre es vielleicht anders gewesen, aber ich bezweifle, dass der Film mehr als die Kosten eingespielt hat. Wenn überhaupt. Soweit ich weiß, hat Stella mehr als ein Jahr nicht gearbeitet, nachdem die Dreharbeiten abgeschlossen waren. Und als sie es dann tat, spielte sie wieder die Almas dieser Welt. Ruby war nicht von Interesse.«
»Wie war sie bei der Arbeit?«
»Professionell. Sie war pünktlich am Set und hatte ihren Text parat. Egal, wie viele Wiederholungen Curtis haben wollte, sie beschwerte sich nicht.«
»Und sie verstand sich mit allen?«
»Würde ich sagen. Mit einigen mehr als mit anderen, das ist ja unvermeidlich. Aber sie hat sich nie aufgespielt wie manch andere, und was die Bühnenarbeiter und Lichttechniker und so weiter betraf, hat sie sich die größte Mühe gegeben, freundlich zu sein.«
»Sie haben gesagt: mit einigen mehr als mit anderen?«
|224| »Das habe ich, oder?« Er lächelte reuevoll. »Wenn man in jenen Tagen keinen amerikanischen Star hatte, war es unmöglich, einen Filmverleih in den Vereinigten Staaten zu finden. Nicht dass Dennis Wade ein Star war. Aber er war Amerikaner. Er hatte in ein paar anständigen Hollywoodfilmen mittelmäßige Rollen gespielt. Curtis hatte schon vorher ein paarmal mit ihm gedreht. Zu dem Zeitpunkt, als Dennis seine Karriere begann. Damals hatte er Dane Clarks jüngeren Bruder gespielt oder war ziemlich zu Beginn des Films von Dan Duryea erschossen worden. Solcherart Rollen hatte er bekommen. Abgesehen von seiner Nationalität sprach für ihn, dass er gut aussah und billig war.«
Lesley hatte sich bereits von seinem guten Aussehen überzeugt. Dunkles, lockiges Haar, regelmäßige Gesichtszüge, ein starker Kiefer. »Er und Stella hatten etwas miteinander?«
»Angeblich. Mit Sicherheit haben sie viel Zeit miteinander verbracht. Zumindest am Set. Und die Publicity-Abteilung hat das natürlich ausgeschlachtet. Sie können sich das bestimmt vorstellen.«
»Und Sie glauben, mehr war es nicht? Nur ein Werbegag?«
»Ich weiß es wirklich nicht.« Ein wenig mühsam beugte er sich vor und goss Tee nach. »Es gab sogar Gerüchte – das hörte ich natürlich erst später, nachdem wir mit dem Schnitt fertig waren –, dass sie schwanger sei.«
»Von Wade?«
»So hieß es.«
»Bei meiner Recherche bin ich nirgendwo auf ein Kind gestoßen.«
Hedden machte eine Geste mit den Händen, als wolle er sagen: Wer weiß?
»Sie könnte abgetrieben haben«, sagte Lesley. »Oder das |225| Baby bekommen und zur Adoption freigegeben haben. Das könnte auch erklären, warum sie eine Zeitlang nicht gearbeitet hat.«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, sie hat einfach deshalb nicht gearbeitet, weil es keine Arbeit für sie gab.«
Lesley hörte die Müdigkeit in seiner Stimme. »Ich habe Sie zu lange mit Beschlag belegt«, sagte sie.
»Nein, ganz und gar nicht. Es war sehr unterhaltsam. Ich bekomme heutzutage nicht oft die Möglichkeit, über alte Zeiten zu reden.«
An der Tür schüttelten sie sich die Hand.
»Gute Heimfahrt«, sagte Hedden.
Der Himmel über ihnen bot Schattierungen von Grau, und draußen auf dem Meer verschluckte etwas Dunkles und Verschwommenes den Horizont. Möglich,
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