Splitterwelten 01 - Zeichen
hatte sie hochgeschlagen, um sich vor der eisigen Kälte zu schützen, und starrte hinaus in die Weite des Sanktuarions, dorthin, wo sich irgendwo unter den im Abendlicht orangerot leuchtenden Wolken Ethera befand. »Ich will nicht mit Euch sprechen.«
»Ihr vielleicht nicht«, räumte Erik ein, »aber ich würde gerne mit Euch sprechen. Bitte hört mich an.«
»Ich wüsste nicht, was es noch zu reden gäbe. Euer Vater hat alles gesagt. Er hat mich verleumdet und beleidigt.«
»Ihr habt ihn ebenfalls beleidigt.«
»Doch nur, weil er …« Sie unterbrach sich und seufzte. Es war sinnlos. Er würde sie doch nicht verstehen. Vermutlich war er noch nicht einmal in der Lage dazu. Das Elend dabei war nur, dass ein Teil von ihr unbedingt wollte , dass er sie verstand.
»Ich weiß, dass ich Euch enttäuscht habe«, gestand er zu ihrer Überraschung ein, »und das bedaure ich. Nach allem, was Ihr für mich getan habt, hattet Ihr das nicht verdient.«
»Ich habe nichts für Euch getan«, widersprach sie, »das habe ich schon Eurem Vater gesagt. Ich habe mich lediglich selbst gerettet.«
»Nachdem ich Euch in tödliche Gefahr gebracht hatte«, ergänzte er. »So oder so stehe ich in Eurer Schuld, und ich möchte es wiedergutmachen.«
»Tatsächlich? Und wie wollt Ihr das tun?«, fragte sie.
»Indem ich Euch etwas zeige. Etwas, das Euch interessieren wird«, fügte er hinzu. »Jedenfalls, wenn ich recht behalten sollte und mein Vater unrecht.«
Überrascht wandte sie sich zu ihm um. In seiner strahlenden Rüstung stand der Prinz von Jordråk vor ihr, den Umhang um die breiten Schultern und die Rechte wie immer in Leder gehüllt.
»Ihr seid mit Eurem Vater uneins?«, erkundigte sie sich.
»Mein Vater bedauert seine unbeherrschten Worte«, entgegnete Erik ausweichend. »Er wünschte, das Treffen wäre anders verlaufen.«
»Und warum erklärt er sich nicht persönlich?«
Ein Lächeln spielte um die bärtigen Züge des Prinzen, das gleichzeitig Bewunderung und Tadel zum Ausdruck brachte. »Wenn der Sohn des Weltenherrschers Euch dies sagt, sollte es Euch genügen«, stellte er klar.
»Und wenn nicht?«
»Woher rührt nur diese Unbeugsamkeit?«, fragte er. »Woher dieser Stolz?«
Kalliope zuckte mit den Achseln. »Vielleicht, weil ich im Dienst von etwas stehe, woran ich aus tiefster Überzeugung glaube«, vermutete sie.
»Und diesen Glauben kann nichts erschüttern?«
»Nichts, was Ihr sagen oder tun könntet«, versicherte sie.
Erik nickte. »Folgt mir also«, forderte er sie auf und schickte sich an, die Turmplattform zu verlassen.
»Wohin?«
»Wie ich schon sagte – ich will Euch etwas zeigen. Vielleicht werdet Ihr dann anders über meinen Vater denken und über diese Welt, die Euch so verhasst ist.«
»Erik?«
»Ja?«
Kalliope blickte zu Boden, als wären dort die Worte zu finden, nach denen sie suchte. »Es tut mir leid, was ich über Jordråk gesagt habe«, gestand sie leise. »Es war im Zorn dahingesagt und nicht so gemeint.«
Erik grinste abermals. »Doch«, war er überzeugt, »Ihr habt es genau so gemeint. Aber ich nehme es Euch nicht übel, denn vermutlich würde ich ebenso denken, wenn ich von einer reichen Innenwelt hierherkäme. Aber Jordråk ist nun einmal meine Heimat. Hier liegen meine Wurzeln. Von hier stammt alles, was ich bin.«
»Ich weiß«, versicherte sie.
»Also werdet Ihr nun mit mir kommen?«
Sie schürzte die Lippen und wich seinem Blick aus, hatte plötzlich das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. »Schön«, erklärte sie sich einverstanden, obwohl eine innere Stimme ihr sagte, dass sie dabei war, einen weiteren Fehler zu begehen.
Sie verließen die Turmplattform über die enge Wendeltreppe und stiegen bis zur Gesindehalle hinab, wo die Diener, Knechte und Mägde wohnten und schliefen. Von dort gelangten sie in einen schmalen Nebengang, der offenbar nur selten benutzt wurde und sich schon bald in Dunkelheit verlor. Aus einer Wandhalterung nahm Erik eine Fackel und ging weiter voraus. Obschon sich Kalliope alle Mühe gab, die Orientierung zu behalten, wusste sie schon bald nicht mehr, wo in der Burg sie sich befanden, und sie gestand sich ein, dass sie wohl nicht das Gespür ihrer Meisterin hatte.
Über eine Treppe, die in den nackten Fels gemeißelt war, ging es in die Tiefe, in schummriges Halbdunkel, das der Lichtschein der Fackel nur unzureichend zu vertreiben vermochte. Der Treppe schloss sich ein Gewölbe an, dessen Decke niedrig war und in der ein muffiger Geruch
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