Splitterwelten 01 - Zeichen
Grölen heiserer Stimmen.
»Nein«, entgegnete sie, »ich bin nicht bereit. Um ehrlich zu sein, steht mir der Sinn nicht nach Gesellschaft.«
»Von den Einherjar eingeladen zu werden, ist eine Ehre, die nur wenigen Außenstehenden zuteilwird«, erklärte Erik, der in weite, an den Unterschenkeln geschnürte Hosen und eine schlichte Tunika gekleidet war. »Es ist ihre Art, sich bei Euch zu bedanken.«
»Sich zu bedanken? Wofür?«
»Dafür, dass Ihr mein Leben gerettet habt«, entgegnete der Prinz von Jordråk mit verlegenem Lächeln. »Die Kunde von Eurem mutigen Eingreifen in der Fenrismark hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, müsst Ihr wissen.«
»Und wenn ich mich gar nicht so mutig fühle? Ich sagte doch schon, dass ich mich im Grunde nur selbst retten wollte. Dass Ihr ebenfalls auf dem Schlitten wart, war nur ein Zufall.«
»Ein äußerst glücklicher Zufall für mich«, bestätigte Erik lächelnd. »Dennoch solltet Ihr Eure Sicht der Dinge für Euch behalten.«
»Soll ich mich lieber mit Ehren schmücken, die mir nicht zukommen?«, fragte sie. »Das wäre falsch und prahlerisch.«
»Dass Ihr unser beider Leben gerettet habt, steht außer Frage – in welcher Gesinnung Ihr es tatet, ändert nichts daran. Außerdem gebt Ihr den Menschen etwas, an dem sie sich festhalten und an das sie glauben können.«
»Und das wäre?«, verlangte Kalliope zu wissen.
»Heldentum, Mut und Ehre«, erwiderte Erik ohne Zögern, »die höchsten Ideale unserer Welt.«
Kalliope verdrehte die Augen. Sie verspürte wenig Lust, sich dem Treiben zuzugesellen, dessen Lärm nun immer lauter wurde. Nicht nur, weil ihr nicht zum Feiern zumute war und sie immer noch überzeugt war, eine Ehrung nicht verdient zu haben. Sondern auch, weil sie sich unwohl dabei fühlte, den Bewohnern Jordråks unter die Augen zu treten. Stets war sie überzeugt gewesen, als Angehörige der Gilde anderen Menschen überlegen zu sein und stets auf der richtigen Seite zu stehen – doch diese Überzeugung stand nicht mehr so unerschütterlich fest wie zuvor.
Vor einer breiten, zweiflügeligen Tür blieb Erik stehen und bedeutete den Dienern zu öffnen. Schlagartig nahm der Lärm zu, als die Türflügel aufschwangen, aber schon einen Augenblick später, als Erik und Kalliope ihren Fuß über die Schwelle setzten, verstummten sowohl das Gegröle als auch die Musik. Die Augen aller Anwesenden richteten sich auf die Gildeschwester, die ebenso zaghaft wie beschämt zurückblickte.
Die meisten Anwesenden, die an den langen, um eine Feuerstelle gruppierten Tischen saßen, waren vierschrötige Gesellen, einer abenteuerlicher anzusehen als der andere. Nicht nur, dass ihre Kleider derb und kriegerisch waren und sie weder ihre Waffen noch ihre Kettenhemden zum Essen abzulegen schienen; ihre wettergegerbten Gesichter, aus denen stahlblaue Augenpaare blickten, waren von wildem Haar und ungepflegten Bärten halb überwuchert, und ihre geröteten Nasen und der strenge Geruch in der Halle ließen vermuten, dass sie dem Alkohol zugesprochen hatten. Zu ihrer Verblüffung sah Kalliope auch einige Frauen in vornehmer Kleidung – vermutlich die Gemahlinnen einiger der Kämpfer, die jedoch nicht weniger trinkfest zu sein schienen als die Männer.
Über dem Feuer, das in der Mitte der Halle brannte, drehten sich mehrere große, seltsam anmutende Tiere am Spieß – die vordere Hälfte schien einem Schwein zu ähneln, die hintere einer Robbe. Ein ganzer Schwarm von Köchen, Dienern und Mägden wuselte um die Tische und war dabei, den Kriegern aus großen Krügen Met einzuschenken, der an diesem Abend in Strömen zu fließen schien. Viele der Diener waren Phociden, wovon niemand gesonderte Notiz zu nehmen schien. Auch Kalliope hatte sich an den Anblick gewöhnt. Viel eher störte sie, dass auch das Gesinde inzwischen verharrt war und sie mit einer Mischung aus Erwartung und Unbehagen anblickte.
Die Gildeschwester sandte Erik einen hilflosen Blick. Sie fand keine Worte, zumal sie trotz der Einladung, die man ihr hatte zukommen lassen, nicht das Gefühl hatte, wirklich erwünscht zu sein. Doch die einzige Antwort, die der Sohn des Fürsten ihr gab, war ein ermunterndes Lächeln.
»Tapfere Krieger von Jordråk«, sagte sie deshalb, »ich bin Euch allen sehr dankbar für die Ehre und die Anerkennung, die Ihr mir zukommen lassen wollt. Allerdings muss ich Euch sagen, dass ich sie in keiner Weise verdient habe.«
Wohin sie auch blickte, sah sie nur Verwirrung und blankes
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