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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Unverständnis.
    »Was ich tat, tat ich vor allem, um mein eigenes Leben zu retten. Es war schrecklich dort draußen, an den Gestaden der Fenrismark. Die Skolls waren plötzlich überall. Sie töteten unsere Leibwächter, die bis zuletzt tapfer Widerstand leisteten, und es war offenkundig, dass sie auch uns töten würden, wenn es uns nicht gelang, ihnen zu entkommen. Ihr Heulen und Brüllen erfüllte die Luft, und ich hatte schreckliche Angst.«
    Wieder blickte sie in die Runde und konnte hier und dort ein zaghaftes Nicken erkennen. »Während Prinz Erik versuchte, den Streitwagen über die Brücke zu lenken und den Skolls zu entrinnen, zitterte ich am ganzen Körper vor Furcht. Ich konnte sehen, wie die Skolls aufholten und immer näher kamen, und dann, im Augenblick der größten Verzweiflung …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Ich weiß selbst nicht, wie es dazu gekommen ist«, gestand sie freimütig ein. »Aber wir sind hier und am Leben, und nur das zählt.«
    Im Saal blieb es still.
    Weder die Krieger noch ihre Frauen oder das Gesinde wussten, wie sie auf dieses Geständnis reagieren sollten. Einige starrten zu Boden, offenbar peinlich berührt, andere blickten Kalliope zweifelnd an. Ihr wurde unwohl in ihrer Haut, und sie sah ein, dass Erik recht gehabt hatte. Die Menschen wollten Helden, zu denen sie aufblicken konnten, und wenn sie die Wahl hatten zwischen der Wahrheit und einer schönen Lüge, zogen sie die Lüge allemal vor …
    »Gildeschwester!«
    Einer der Krieger stand plötzlich auf und trat vor. Ein Auge fehlte ihm, das ihm der Narbe nach ein Falke ausgeschlagen hatte, sein blondes Haar hatte sich weißlich verfärbt. Seine Bekleidung bestand wie die der anderen aus Leder und Fell, über dem er einen Schuppenpanzer trug. Seine Arme waren nackt bis auf bronzene Spangen um die Handgelenke. Der Griff seines Schwertes war glatt vom häufigen Benutzen, und die Farbe seines Gesichts und seiner knollenförmigen Nase ließ darauf schließen, dass er dem Alkohol bereits üppig zugesprochen hatte. Schwerfälligen Schrittes wankte er auf Kalliope zu. In seiner fleischigen Rechten hielt er ein riesiges, mit reichen Schnitzereien verziertes Trinkhorn, das so üppig gefüllt war, dass es überschwappte.
    »Gildeschwester!«, rief er mit donnernder, vom Grölen heiserer Stimme in die Stille. »Dies ist die Halle der Krieger! Ich bin Urgar Thjursohn, der Erste und Älteste der Einherjar!«
    Kalliope hielt den Atem an.
    »Und ich heiße Euch im Namen der Krieger willkommen.«
    Die anderen schlugen mit ihren Fäusten auf die Tische, sodass es klirrte und krachte.
    »Dies«, fuhr er fort und hob das Gefäß in seinen Händen, »ist das Horn der Einherjar! Nur denen, die ihr Leben einsetzen, um den Fürsten und seinen Sohn zu schützen und vor Schaden zu bewahren, ist es gestattet, daraus zu trinken – und nach allem, was Ihr getan habt, habt auch Ihr Euch dieses Recht erworben!« Er hielt Kalliope das Horn hin. »Trinkt deshalb – auf Euer Wohl und das unseres Fürsten. Und um all jene zu ehren, die vor uns den Weg des Kriegers gegangen sind, auf dass ihr Ruhm auf Erden niemals verblasse!«
    Wieder schlugen die Einherjar mit den Fäusten auf die Tische, hier und dort wurde zustimmend gegrölt. Kalliope jedoch hatte nur Augen für das ihrem Empfinden nach riesige Trinkgefäß, dass Urgar ihr hinhielt. Sie sah die erwartungsvollen Blicke, die nicht nur der Anführer der Einherjar, sondern auch alle anderen Anwesenden ihr zuwarfen, einschließlich der Diener und der Phociden.
    »Aber ich …«, wandte sie leise und ein wenig hilflos ein.
    »Helden werden nicht geboren, Gildeschwester«, vertraute Urgar ihr an und entblößte sein lückenhaftes Gebiss zu einem breiten Grinsen. »Erst der Augenblick der Bewährung lässt sie dazu werden.«
    War das nicht genau das, was auch Meisterin Cedara gesagt hatte? Dass erst das wirkliche Leben wahre Meisterschaft hervorbringe? Plötzlich sah sie den einäugigen Krieger mit dem wilden Haar und dem ungepflegten Gebiss mit anderen Augen. Es kam ihr vor, als würden die Lektionen ihrer Meisterin in diesem Moment abgeschlossen. An einem Ort, der unendlich weit entfernt war von Ethera, und von einem Mann, der ganz sicher noch nie in seinem Leben etwas von den Thesen Auroras oder dem Codex der Schwesternschaft gehört hatte.
    Sie griff nach dem Horn, das Urgar ihr so bereitwillig darbot. Auch wenn die Regeln von Ehre, Mut und Tapferkeit, die das Leben dieser Männer

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