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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Regeln des Neusprech eine Meisterleistung. Vgl. auch →   Gesundheitskarte . Die Union hat sich das Konzept vor ein paar Jahren ausgedacht, um die marode Krankenversicherung zu sanieren – Verzeihung, wir sind ungenau: Um die immer weiter steigenden Kosten für die Krankenversicherung stärker den Versicherten aufzubürden und Unternehmen im Vergleich dazu künftig billiger davonkommen zu lassen. Von den Erfindern bei der CDU/CSU wurde das Ding ursprünglich sogar solidarische Gesundheitsprämie genannt. Solidarisch, also der Idee von gleichgestellten Gruppen verpflichtet, ist daran natürlich nichts. Denn Unternehmen zahlen immer weniger ein, Bürger immer mehr. Steigt der Beitrag in der Zukunft, wird sich dieses Missverhältnis noch verschlimmern. Denn die Beteiligung der Firmen ist festgeschrieben, die der Versicherten hingegen nicht. Für die Asozial-Romantiker von der Union mag das wie ein faires Konzept aussehen, dem normalen Gerechtigkeitsempfinden entspricht es dagegen eher weniger. Der politische Gegner bezeichnet die Gesundheitsprämie daher gern als Kopfpauschale. Das klingt etwas treffender, soll aber wohl vor allem an Kopfgeldjäger erinnern und das Konzept schmähen.

Gewinnwarnung
    Geldverdienen ist uns Deutschen irgendwie peinlich, weshalb im Lebensraum der Spekulanten, Banker und Aktienhändler besonders viele verschwiemelnde Sumpfwörter blühen, siehe auch →   Finanzindustrie . In der Wirtschaft geht es nun einmal allein ums Geld. Das klar zu sagen, ist jedoch schon lange nicht mehr schick. Mit der Gewinnwarnung beispielsweise wird nicht etwa davor gewarnt, dass gleich ganz viel Gewinn auf die Aktienbesitzer niederregnet. Die Wortschöpfung soll vielmehr ausdrücken, dass ein Unternehmen weniger Gewinn oder unter Umständen sogar mehr Verlust gemacht hat, als den Aktionären ursprünglich angekündigt worden war. Eigentlich ist das also eine Gewinnkorrektur, mindestens. Beziehungsweise Börsendeutsch für das Eingeständnis, wohl zu viel versprochen zu haben. Was selbstverständlich nicht so positiv klingt beziehungsweise nicht so hübsch verbrämt ist. Die Gewinnwarnung wäre dafür 2001 fast mal zum Unwort des Jahres gekürt worden. Es hat dann doch nicht ganz gereicht, und bewirkt hat es leider auch nichts. Bis heute belügen Unternehmen ihre Aktionäre mit Hilfe dieses Begriffes.

Gipfel
    Ein Gipfel ist, neben der in der Landschaft herumstehenden Bergspitze, ein Treffen von Politikern, in diesem Zusammenhang gern »Spitzenpolitiker« genannt. Dabei suggeriert die namensgebende Bergkuppe, dass bei einer solchen politischen Zusammenkunft irgendein Höhepunkt erreicht, irgendein Problem bezwungen, eben irgendein Gipfel erklommen wird. Das aber geschieht praktisch nie. Es gab tatsächlich eine Zeit, als bei einem Stelldichein führender Politiker Kriege beendet, die Zukunft ganzer Landstriche geplant, ja überhaupt weltverändernde Entscheidungen getroffen wurden. Aber das ist lange her. Damals hießen die Runden auch noch sehr viel weniger protzig »Konferenz«, abgeleitet vom lateinischen conferre , »zusammentragen«. Heute hingegen kommt jedes Kaffeekränzchen von ein paar Wirtschaftsministern gleich als Gipfel daher. Was viel über die dort geführten Verhandlungen sagt. Denn, so lautet eine stehende Neusprech-Regel, je großspuriger die Verpackung, desto dürftiger der Inhalt. Und tatsächlich sind die Ergebnisse solcher Veranstaltungen inzwischen so mager, dass es den Teilnehmern oft schwerfällt, sie anschließend als Erfolg zu verkaufen. Was sicher auch daran liegt, dass die als »Spitzenpolitiker« Gerühmten selbst gar keinen Anteil mehr an dem ganzen Prozess haben. Die Verträge und Abschlusserklärungen nämlich werden längst von sogenannten Sherpas ausgehandelt, lange bevor sich die Politiker überhaupt treffen. Professionelle Bergführer also bestimmen, was die gewählten Vertreter der Völker anschließend nur noch verkünden dürfen. Die Gipfel sind damit so etwas wie der vorgetäuschte Orgasmus der Politik: Sie sehen wichtig aus, sind viele Millionen teuer, haben aber keinen Höhepunkt. Ein Schwindel also.

grundrechtsschonend
    Geschont werden Kranke und Sterbende. Wenn jetzt auch schon die Grundrechte so weit sind, dass sie nur noch »schonende Eingriffe« vertragen, muss es übel um sie stehen. Möglicherweise aber ist alles sogar noch viel schlimmer und die Schonung nur eine Lüge. Der Verdacht drängt sich auf. Denn entweder ist ein Vorgehen konform mit den

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