Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Grundrechten, oder es verstößt gegen sie, eine andere Möglichkeit gibt es eigentlich nicht. Der in diesem Zusammenhang stets erwähnte »Eingriff« lässt vermuten, dass damit eher ein Verstoß gegen die im Grundgesetz aufgeführten Rechte gemeint ist, der aber nicht so genannt werden soll. Denn ein Eingriff ist etwas Kleines, Harmloses – schnell vorbei und gar nicht schlimm. Doch die grundrechtsschonenden Eingriffe, die die Bundesregierung so plant, sind alles andere als klein und schonend und auch nicht schnell wieder vorbei und vergessen. So gehört dazu zum Beispiel die → Vorratsdatenspeicherung , die besser Personendatenhortung oder Kommunikationsüberwachung hieße. Wenn also irgendjemand anfängt, etwas als grundrechtsschonend zu bezeichnen, sollte man zügig das Bundesverfassungsgericht anrufen. Vgl. auch → freiheitsschonend .
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Handlungsfähigkeit
Die Handlungsfähigkeit ist ein Pleonasmus, eine sinnlose Doppelung also. Denn entweder ist man fähig zu handeln, handelt also – oder eben nicht. Der Satz, irgendjemand beweise seine Handlungsfähigkeit , sollte daher stutzig machen. Denn er deutet wie so viele politische Wortschöpfungen auf etwas hin. In diesem Fall auf einen Mangel. Pleonasmen können die Funktion haben, einen Ausdruck zu verstärken. Rückstau ist so ein Beispiel oder auch Bauchgefühl. Und darum geht es hier. Wäre ein Politiker bekannt für seinen Willen und seine Fähigkeit, Dinge zu ändern, dann handelte er und müsste nicht darüber reden, was er demnächst alles anpacken möchte. Auch dass ständig jemand tönt, er könne die Handlungsfähigkeit wiedergewinnen, wenn er nur dieses oder jenes bekäme – meistens Geld –, deutet in diese Richtung. Besteht doch die nicht unerhebliche Chance, dass die Handlungsfähigkeit nur deshalb zum Popanz erhoben wird, weil niemand handelt. Ja vielleicht sogar niemand handeln möchte. Immerhin ist es riskant, etwas zu tun, denn es birgt die Gefahr, hinterher zur Verantwortung gezogen zu werden. Viel sicherer ist es, die Regel des Beamtenmikados zu beherzigen: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die Handlungsfähigkeit ist damit so etwas wie der Totmannknopf der Politik. Wer ständig auf ihn drückt, zeigt, dass er noch lebt – ohne dass er dafür wirklich etwas tun müsste. Vgl. auch Handlungsbedarf. Der wird gern »gesehen«, ohne dass eine Reaktion erfolgt. Was soviel heißt wie: Wir würden ja gern, aber leider, leider können wir nicht. Oder sind zu borniert, das Problem zu erkennen.
Harmonisierung
Harmonia , die: Griechisch für Zusammenfügung, siehe auch die gleichnamige Göttin der Eintracht. Als erstrebenswert geltender Zustand, mit dem Symmetrie, Wohlklang und Abwesenheit von Konflikten assoziiert sind. Die davon abgeleitete Harmonisierung nutzt die positive Konnotation zur euphemistischen Umschreibung einer Zwangsangleichung auf niedrigstem gemeinsamen Niveau. Beispielsweise bei der Vereinheitlichung europäischer Vorschriften. Gesellschaftliche Errungenschaften, die in einem Land erzielt wurden, können mit der Begründung abgeschafft werden, woanders gebe es sie auch nicht. Das Ganze als Harmonisierung zu verkaufen, zeugt schon von Dreistigkeit. Bezeichnenderweise stellte sich bei den betroffenen Bürgern keine Harmonie ein. Vielleicht sollte sie das aber auch gar nicht, denn das erklärte Ziel der Harmonisierung in Europa ist nicht, das Zusammenleben der Menschen unkomplizierter zu machen. Sie soll vielmehr dazu führen, »Störungen im gemeinsamen Markt zu vermeiden«. Da diese Zwangsnivellierung dann doch eher zu Widerstand führt, werden inzwischen nur noch Mindeststandards festgelegt. Wer mehr als diese anbietet, kann das nun tun. Was zeigt, dass schöne Worte manchmal nicht genügen, um eine unschöne Idee zu verkaufen.
Hochfrequenzhandel
Was für ein Wort! Das klingt so herrlich nach Elektrifizierung und Fortschritt, nach Moderne und Zukunft. Das kann doch nichts Schlechtes sein. Nun ja. Eigentlich beschreibt es einen ziemlich üblen Trick, den Banken nutzen, um sich bei Aktiengeschäften einen Vorteil zu verschaffen. Große Computer analysieren dabei, was normale Händler ordern, und wetten innerhalb von Millisekunden mit ihnen oder gegen sie. Noch bevor also der Auftrag eines Aktienhändlers abgeschlossen ist, haben die Rechner dieser Banken den Auftrag analysiert und die gleichen Aktien gekauft. Sekundenbruchteile später verkaufen sie diese wieder und profitieren so von der geringfügigen
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