Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Preissteigerung, die die ursprüngliche Order des Händlers ausgelöst hat. Im Zweifel sind es nur Bruchteile eines Cent, doch können die Rechner in einer Sekunde Millionen solcher Geschäfte abwickeln, so sammelt sich schnell viel Geld. Das ist tatsächlich ein Handeln mit hoher Häufigkeit, lateinisch frequentia und daher nicht wirklich ein falsches Wort. Jedoch eines, das zusammengezogen zur Hochfrequenz eher auf die Elektrotechnik und damit in eine falsche Richtung weist. Und es ist ein Wort, das ein zweites wesentliches Merkmal des Zaubertricks zu erwähnen vergisst: die Autonomie. Menschen haben auf den Handel nur insoweit Einfluss, als sie die Programme und Algorithmen dafür schreiben. Alles andere macht der Computer. Weshalb der Hochfrequenzhandel durchaus als Euphemismus gelten kann. Dass er umstritten ist und möglicherweise verboten werden könnte, wundert Sie jetzt nicht mehr wirklich, oder?
I
innehalten
Angesichts dramatischer Ereignisse äußern Politiker gerne den Wunsch, die Welt möge doch bitte innehalten , sie möge also »pausieren«. Denn nichts anderes bedeutet das Wort. Immerhin, so die Begründung, könne man nach einer Katastrophe doch nicht einfach »zur → Tagesordnung übergehen«. Könnte man schon, es schickt sich aber nicht. Wirkte es doch, als nähme der betreffende Politiker das Attentat oder das Zugunglück nicht ernst genug. Noch besser wäre es selbstverständlich, etwas an den Ursachen zu ändern, so dass ein solches Attentat oder Zugunglück nicht wieder geschieht. Da Handeln jedoch meist mühsam und vor allem teuer ist, wird alternativ kurz innegehalten. Das wirkt wohlerzogen, ein wenig Besinnung hat schließlich jeder gern, nicht nur zu Weihnachten. Dabei ist es so nicht gemeint. Denn Besinnung beinhaltet Ruhe. Der Aufruf zum Innehalten ist also die geschickt versteckte Aufforderung, jetzt bitte nicht weiter über das zugrunde liegende Problem zu diskutieren. Übersetzt heißt innehalten , dass derjenige, der es fordert, alles lieber täte, als etwas zu ändern, dass es ihm völlig genügt, kurz der Opfer zu gedenken. Anschließend möge bitte weiter gemacht werden wie bisher.
Insolvenz, geordnete
Eine Insolvenz geordnet, daher in kalkulierbaren Schritten und ohne Durcheinander abzuwickeln, dürfte in etwa dem Vorhaben entsprechen, ohne Hilfsmittel zu fliegen. Immerhin wird eine Insolvenz regelmäßig hervorgerufen durch Misswirtschaft und somit chaotische Umstände und zeichnet sich durch die Unfähigkeit aus, die eingegangenen (Zahlungs-)Versprechen einzulösen. Der erste Schritt eines Insolvenzverwalters besteht daher stets darin, das Chaos so weit zu ordnen, dass er zumindest einen vagen Überblick bekommen kann, wie viel noch da ist und wie viel von wem gefordert wird. Rhetorisch darf eine geordnete Insolvenz daher getrost als Synekdoche gelten, als Begriffsverschiebung: Hier wird für das hoffentlich geordnet ablaufende Insolvenzverfahren das Wort Insolvenz eingesetzt, das eigentlich so viel wie »Zahlungsunfähigkeit« bedeutet. Das Warum für diese Verschleierung ist offensichtlich: Wenn ein Minister beispielsweise davon spricht, »erhebliche Steuermittel« seien bei der geordneten Insolvenz des Opelkonzerns »gut angelegt«, dann will er beruhigen. Er will das Gefühl vermitteln, dass nichts schiefgehen kann. Noch viel mehr, wenn es bei einer geordneten Insolvenz gar um komplette Staaten oder ganze Währungen geht. Nur Nebenbei: Das Adjektiv »geordnet« kommt aus dem Kriegswesen: Dort soll der »geordnete Rückzug« suggerieren, die heillose Flucht sei gar keine. So etwas nennt man falsche Hoffnungen schüren beziehungsweise lügen.
Integrationsverweigerer
Integration geht auf das lateinische Adjektiv integer für »ganz« oder »rein« zurück, das es auch als deutsches Fremdwort gibt. Zum Beispiel als Bezeichnung für eine aussterbende Art von Politikern. In der Soziologie nun bekam der zuvor schon in anderen Disziplinen geläufige Terminus die Bedeutung »(Wieder-)Herstellung eines gesellschaftlichen Ganzen« aus verschiedenen Teil- oder Parallelgesellschaften. Vertreter einer anderen nicht aussterbenden Art von Politikern wollen diese Ganzheit herstellen, indem sie die von ihnen als Integrationsverweigerer oder gar als Integrationsmuffel bezeichneten Menschen zwingen, sich anzupassen. Sie sollen »Integrationskurse« besuchen und »Integrationsregeln« erlernen. Tun sie das nicht, sollen sie sogar bestraft werden können. Der korrekte Ausdruck dafür
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