Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
wäre Unterwerfung, doch geht es nicht nur um eine falsche Benennung. Es stellt sich die Frage, wer hier der eigentliche Muffel ist? Immerhin drückt diese Forderung aus, dass Integration nur in eine Richtung zu funktionieren hat, dass wir hierzulande von Fremden nichts lernen wollen und nichts lernen können. Moment mal! Wollten wir nicht eine offene Gesellschaft? Steht nicht im Grundgesetz, jeder habe das Recht »auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit«, solange er sich an die Gesetze hält? Und meint Integration nicht eigentlich die Mühe aller, mit fremden Dingen zurechtzukommen? Wer also ist hier der Integrationsverweigerer ? Nur nebenbei: In der Psychoanalyse spricht man von Projektion, wenn das eigene (Fehl-)Verhalten anderen angekreidet wird.
intelligent
Die Intelligenz hat ihren Ursprung im lateinischen intellegere »verstehen«, eigentlich: »zwischen [den Zeilen] lesen«, und ist eine Eigenschaft, die (bislang) allein dem Menschen zugeschrieben wurde, dem homo sapiens (»wissender Mensch«). Dann kamen Ingenieure und Informatiker und setzten sich das Ziel, menschengleiche Maschinen zu bauen und menschliches Denken nachzuahmen, und nannten es metaphorisch »Künstliche Intelligenz« (KI). Das kann man machen. Zum Unfug wurde es, als PR-Abteilungen über den Begriff stolperten und die Idee hatten, mit ihm allen möglichen Kram zu vermarkten, der nicht einmal annähernd »zwischen den Zeilen lesen« kann: Stromnetze, Speicherkarten, Telefone, Grenzkontrollen, Sozialkürzungen und sogar Bomben. All diese Dinge sind nach menschlichen Maßstäben dumm wie ein Stück Holz, weshalb es sich dabei höchstens um eine Meta-Metaphorik handeln kann, sozusagen eine Metaphorik zweiter Ordnung. Die Motivation ist nachvollziehbar, die Sachen sollen irgendwie peppiger wirken als ihre Vorgänger, da sie tatsächlich irgendetwas besser können als diese. Aber schlaue Bomben? Die Dinger merken sich eine Geokoordinate, mehr nicht. Könnten die »verstehen«, würden sie beidrehen und ihre Erfinder zu treffen versuchen.
Intensivtäter
Im American Football gibt es eine sogenannte Two-Minute Warning : Der Schiedsrichter weist zwei Minuten vor dem Abpfiff daraufhin, dass das Ende des Spiels gleich erreicht ist. In politischen Reden gibt es eine solche Warnung leider nicht, dabei wäre sie beim Intensivtäter durchaus angebracht. Denn das Adjektiv in diesem Kompositum steht nahezu am Ende einer ganzen Kette von Steigerungen. Aus dem Täter wird dabei zunächst ein Rückfalltäter. Der Ausdruck lässt noch offen, wie oft der Betreffende rückfällig geworden ist, ein Rückfalltäter ist er wohl ab dem ersten Rückfall. Der Wiederholungstäter geht da schon weiter und weist auf eine gewisse Regelmäßigkeit hin. Doch scheint auch dieser Begriff noch nicht genug Bedrohungspotenzial zu besitzen, denn Politiker haben sich den Intensivtäter ausgedacht. Der ist also ein Krimineller, der etwas nicht nur regelmäßig, sondern auch noch sehr häufig wiederholt. Oder sehr gründlich? Oder besonders eindringlich? Auch das kann »intensiv« immerhin heißen. Wir wissen es nicht, denn das Erstglied intensiv steigert quantitativ und qualitativ. Was wir jedoch wissen, ist, dass sich der Täter auf diese Art nur noch ein Mal steigern lässt. Zum Intensivsttäter. Danach ist Schluss, und diejenigen, die nach einem Weg suchen, Kriminalität schlimmer erscheinen zu lassen als sie ist, vgl. auch → Kriminalität, schwerste , müssen sich nach einem neuen Unsinnswort umsehen.
Intensivtierhaltung
Um es linguistisch korrekt auszudrücken: Bei Substantivkomposita mit einem Adjektiv als Erstglied ist Vorsicht angebracht. Denn diese Konstruktion wird im Deutschen gern zum Täuschen verwendet. In unserem Beispiel nun werden Tiere gehalten, befinden sich also aus ökonomischen Gründen in einem von Menschen kontrollierten Umfeld. Die Bedürfnisse der Tiere spielen in diesem Zusammenhang eine dementsprechend kleine Rolle, es geht vor allem um die Bedürfnisse von uns Menschen, so viele Tiere wie möglich so lange wie nötig am Leben zu erhalten, um sie letztlich zu töten und zu essen. Das Ganze geschieht dann auch noch – Achtung, jetzt kommt das adjektivistische Erstglied – »intensiv«, also ganz besonders gründlich. Die Intensivtierhaltung also ist der verschleiernde Begriff für den Versuch, Tiere im industriellen Maßstab »herzustellen«, was nur möglich ist, wenn ihre natürlichen Verhaltensweisen ignoriert werden. Im Zweifel
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