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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Steuern zahlen hieß, auch mehr Verantwortung für das Gemeinwesen zu tragen, im Krieg beispielsweise ein Pferd zur Verfügung zu stellen, entwickelte sich die Bedeutung »Zuständigkeit«. Daraus wurden im Verwaltungssprech irgendwann die Kompetenzen (meistens im Plural) einer Behörde, also deren Zuständigkeiten. Erst später kam die Bedeutung »Fähigkeit« hinzu. In dieser wird das Wort vor allem in der Wissenschaft verwendet, in der Linguistik, der Psychologie oder der Pädagogik. Von dort war es dann nur noch ein kleiner Schritt in die Umgangssprache, wobei sich der Begriff dabei noch weiter verschob. Aus der einfachen »Fähigkeit« wurde dabei eine besonders gute Leistung. Das Kompetenzzentrum nun ist eine Einrichtung, in der die einzelnen Zuständigkeiten verschiedener Verwaltungen gebündelt werden. Wer das Kompetenzzentrum als besonders schlaue Einrichtung missversteht, hat das entweder nicht verstanden oder möchte gern ein wenig mit seiner Kompetenz angeben.

Konfliktpartei
    Ein Beispiel aus dem Sprachsumpf, der die Themen Kampf, Krieg und Tod umgibt. Die Konfliktpartei klingt nicht schlimm und irgendwie zivilisiert, denn sie kommt so schön juristisch daher. So als ginge es um eine rechtsstaatliche Auseinandersetzung vor einem Gericht. Oder um ein Problem zwischen zwei →   Partnern , das sie beim Familientherapeuten klären. In diesen Zusammenhängen zumindest sind wir die Verwendung des Wortes gewohnt. Seine Etymologie ist jedoch ein wenig gewalttätiger. Es kommt vom lateinischen conflictus , dem Partizip des Verbs confligere , das als »aufeinandertreffen, zusammenstoßen«, aber auch als »kämpfen« übersetzt wird. Und so stehen sich die von der Politik gemeinten Konfliktparteien denn auch mit Waffen in der Hand gegenüber und tauschen nicht Worte aus, sondern Granaten und Kugeln. Denn Konfliktparteien sind eigentlich Kriegsgegner. Wollen also Politiker, die die Konfliktparteien im Munde führen, den Begriff seiner ursprünglichen Bedeutung näherbringen und ihn wieder als echten Kampf verstanden wissen? Möglich, aber unwahrscheinlich. Sie sind wohl eher daran interessiert, ihn als Euphemismus zu missbrauchen. Denn →   Krieg ist ein Ausdruck, den Politiker meiden wie der Teufel das Weihwasser. Ein »Konflikt« klingt da viel unverfänglicher, und »Parteien« erscheinen wie Gruppen, die widerstreitende Interessen diskutieren. Dabei sind es Gegner, die sich mit aller Gewalt bekämpfen. Die unterlegene Konfliktpartei hat daher auch keine Chance auf Berufung, sie ist im Zweifel tot.

Konsolidierung
    Wir normalen Menschen schätzen es durchaus, wenn sich gerade mal nichts verändert, wenn beispielsweise die Miete gleich bleibt, der Körper nicht ziept und das Auto jeden Morgen klaglos anspringt. In Wirtschaft und Politik wird da allerdings anders gedacht. Dieser Zustand der Zufriedenheit ist den Beteiligten zuwider, sie haben ständiges Wachstum zum Allheilmittel für Probleme erkoren, seien es Arbeitslosigkeit oder zu hohe Schulden. Veränderung ist das Ziel. Diese Medizin hat eine Nebenwirkung, Stillstand ist plötzlich nichts mehr, das Ruhe und Erholung verspricht, Stillstand ist nun ein Rückschritt. Daher braucht es neue Begriffe, um ihn zu kaschieren, wenn er denn doch mal eintritt. Die Konsolidierung erledigt das zuverlässig. Das lateinische Adjektiv solidus heißt »fest, ganz, vollständig«. Davon leitet sich das Verb consolidare ab, dessen deutsche Entsprechung konsolidieren ist. Es bedeutet so viel wie »etwas festmachen, festigen«. Die Konsolidierung ist eine Substantivableitung davon, ein sogenanntes Handlungssubstantiv oder Nomen actionis. Da wird etwas verfestigt, wird also stabiler als zuvor. Das mag noch ganz gut klingen, wenn der Kurs einer Aktie sich mal für einen Tag weder nach unten noch nach oben bewegt, wenn also streng genommen gar nichts passiert – auch wenn es Unsinn ist. Geht es allerdings um den Haushalt des Staates, wird das Wort zum Problem. Dort ist der sonst verhasste Zustand der Ruhe auf einmal erwünscht, steigen die Schulden doch seltsamerweise immer weiter, trotz →   Schuldenbremsen und Sparversprechen. Wer allerdings in diesem Zusammenhang eine Konsolidierung fordert, erhält nichts Solides. Denn im Finanzwesen versteht man darunter die Umwandlung kurzfristiger Kredite in langfristige. Die Schulden werden somit zu einem stetigen und dauerhaften Zustand, die Konsolidierung ist nur eine Fristverlängerung. Geht es gar um Anleihen und andere →  

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