Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Europa – CDU«. Durch die Deutschlandfahne wird suggeriert, dass damit alle Deutschen gemeint seien, dass es um die Stimme Deutschlands in Europa gehe. Aber es ging natürlich darum, dass die CDU ihre Kandidaten ins Europaparlament bringen wollte. Das Wir -Gefühl wurde auch für die Bundestagswahl im gleichen Jahr bemüht: »Wir haben die Kraft «, lautete der entsprechende Werbespruch. Das »Wir« war dabei noch mit den Landesfarben schwarz, rot und gold unterlegt. Wieder bleibt offen, ob damit die CDU gemeint ist, die im Gegensatz zu anderen (exklusiv) die Kraft hat, oder ob vielleicht alle Angesprochenen (inklusiv) die Kraft haben – weil Angela Merkel ihre Kanzlerin ist.
Das Wulffsche man : von sich selbst zurücktreten
Bundespräsident Christian Wulff hielt es hingegen mehr mit dem Impersonalpronomen man . Es ist ein beliebter Trick, dieses anstelle des sehr viel eindeutigeren ich zu verwenden. Wulff hat das soweit perfektioniert, dass ein ich bei ihm gar nicht mehr vorstellbar scheint. Er sagte im Januar 2012 in einem Fernsehinterview beispielsweise:
»Wenn man im Ausland ist, in vier Ländern in fünf Tagen und zehn Termine am Tag hat und erfährt, dass Dinge während dieser Zeit in Deutschland veröffentlicht werden sollen, wo man mit Unwahrheit in Verbindung, wo man also Vertrauensverlust erleidet, dann muss man sich auch vor seine Familie stellen. Wenn das Innerste nach außen gekehrt wird, private Dinge, eine Familienhaus-Finanzierung, wenn Freunde den Kredit gegeben haben, in die Öffentlichkeit gezogen werden, dann hat man (eine) Schutzfunktion, und man fühlt sich hilflos.«
Das impersonale Pronomen macht es möglich, sich vom eigenen Handeln und sogar von der eigenen Person zu distanzieren. Es ist nicht mehr ganz so klar, wer verantwortlich ist, denn es könnte nun jeder sein, nicht mehr nur derjenige, der die Sätze spricht. Dieses Zeigen auf einen Jedermann hat noch eine Funktion, es soll dazu führen, dass sich der Hörer mit dem Bundespräsidenten identifiziert. Dort gesteht also nicht etwa ein Bundespräsident einen Fehler ein, sondern es bittet ein ganz normaler Mensch, einer unter vielen, um Zustimmung und Verständnis. Dieses Betteln um Absolution wird im Folgenden noch deutlicher. In seiner weiteren Rede nutzt der Bundespräsident plötzlich Sie , also das höfliche Anredepronomen für man . Er zeigt also nicht mehr nur weg von sich selbst auf einen Jedermann, sondern sogar auf den Zuhörer:
»Wenn Sie die Erfahrung machen, dass privateste Dinge aus dem privatesten Bereich, zum Teil Jahrzehnte zurückliegend, aus einer schwierigen Kindheit, einer schwierigen Familie, öffentlich gemacht werden, und Sie kurz vor Veröffentlichung mit den Fakten konfrontiert werden, dann ist es doch normal, dass man darum bittet, noch einmal ein Gespräch zu führen.«
Nebenbei bemerkt taucht hier eine interessante Steigerung auf – dazu später noch mehr –, mit der Wulff versucht, seine Position zu untermauern: »privateste Dinge aus dem privatesten Bereich«. Gleich zwei Mal verwendet er den unpassenden Superlativ, denn was kann privater sein als das Private? Kurz darauf spricht Wulff dann wieder verallgemeinernd unpersönlich. Dabei scheint er sich selbst gar nicht mehr zu meinen, sondern irgendeinen Bundespräsidenten:
»[…] aber man muss eben als Bundespräsident die Dinge so im Griff haben, dass einem das nicht passiert. Und trotzdem ist man Mensch, und man macht Fehler.«
Das ist eine Menge Abstand zum Ich. Psychotherapeuten könnten versucht sein, dem Betroffenen professionelle Hilfe anzubieten, um wieder zu sich selbst zu finden. Doch er ist gar nicht krank. Er ist nur ein durchschnittlicher Politiker, der versucht, Fallstricken auszuweichen, die er selbst gelegt hat. Wie auch der folgende Herr.
Das Guttenberg-Passiv: ein Geständnis ablegen, ohne zu gestehen
Wie das Beispiel Wulff zeigt, kann es durchaus vorkommen, dass der eine oder andere Politiker im Laufe seiner Karriere gezwungen ist oder gezwungen wird, einen Fehler einzugestehen, ja dass er sich vielleicht sogar für etwas entschuldigen muss. Der Laie würde um Verzeihung bitten und reuevoll seinen Posten räumen. Der Profi kennt geschicktere Wege. Ein mindestens ebenso bekannter Amtsträger hat zu diesem Zweck eine Variante der Entpersonalisierung zur Perfektion entwickelt. Am 18. Februar 2011 gab Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die folgende Erklärung ab:
»Für diese Stellungnahme bedurfte es keiner
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