Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
offensichtlich ist.
Aus rechts wird so erst rechtsradikal , dann extrem rechts oder rechtsextrem und schließlich ultrarechts , was schon fast absurd klingt. Der Bundespräsident befürchtet wie gesagt, »dass privateste Dinge aus dem privatesten Bereich« öffentlich gemacht werden. Hätte da nicht »privat« gereicht? Die »brutalst mögliche Aufklärung« ist auch nicht mehr zu überbieten.
Der Zwang zur Verstärkung führt auch zu feststehenden Floskeln wie zum Beispiel: »besonders gravierend«. Von diesen gibt es in der Sprache der Politik viele: den »intensiven/offenen Meinungsaustausch«, der dabei auch noch ein Euphemismus für Streit ist; die »unverbrüchliche Freundschaft«, die, wenn sie zerbricht, gar keine Freundschaft mehr wäre; die »aktiven Bemühungen«, obwohl es keine passiven gibt; den »eklatanten Verstoß«, wahrscheinlich im Gegensatz zum Verstoß, der nicht der Rede wert ist; das »geltende Recht«, auch wenn Recht, das nicht gilt, im politischen Diskurs sicher kaum eine Rolle spielt.
Und schließlich gibt es neben der Steigerung einzelner Worte noch die sprachlichen Bilder, die Metaphern. Auch mit ihnen kann ganz herrlich übertrieben werden, und auch darin ist der »Schwerstkriminelle« jagende BKA-Chef Ziercke ein Meister. Die folgenden beiden Sätze sagte er bei der Herbsttagung seiner Behörde 2007:
»Das Schadenspotenzial der Internetkriminalität ist immens. Durch das Internet sind Täter in der Lage, Firmen und sogar Staaten in die Knie zu zwingen.«
Das haben Täter ohne das Internet natürlich nie geschafft.
»Da diese Bereiche [das Online-Banking] zunehmend technisiert sind, kann der Bankraub heute vom Schreibtisch aus bis ins hohe Alter hinein begangen werden.« (Ziercke auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung 2011)
Raub vom Schreibtisch aus? Merkmal des Raubes ist der Einsatz von Gewalt. Vom Schreibtisch aus wird das schwierig. Und der älteste Bankräuber der USA war, als er seine kriminelle Karriere begann, 86 Jahre alt. Er überfiel drei Banken, die letzte mit 91 Jahren.
»Ohne die Vorratsdatenspeicherung jedoch geschieht jegliche Kriminalitätsbekämpfung nach dem Zufallsprinzip.« (ebenda)
Die Zufallswahrscheinlichkeit beträgt in diesem Fall – Aufklärung ja, Aufklärung nein – fünfzig Prozent. Die Aufklärungsquote der deutschen Polizei bei sogenannten Internetdelikten hingegen liegt bei über siebzig Prozent. Zufall? Es gibt viele solcher Zitate von Jörg Ziercke, er ist ein Meister der übertreibenden sprachlichen Bilder.
Fairerweise sollten wir dabei nicht vergessen, dass er dabei einen fähigen Lehrer hatte, Innenminister Wolfgang Schäuble. Hier eine kurze Kostprobe, die Schäuble 2007 auf einem Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung gegeben hat:
»Das Internet ist heute so etwas wie die universelle Plattform des Heiligen Krieges gegen die westliche Welt. Es ist Kommunikationsmedium, Werbeträger, Fernuniversität, Trainingscamp und Think Tank der Islamisten zugleich.«
Welch beeindruckende sprachliche Gewalt. Kein Wunder, dass sich so viele Menschen vor dem Internet fürchten, es muss ein grauenvoller Ort sein.
Der Unter-Ziercke: auch Verharmlosen kann helfen
Gleichzeitig aber ist Jörg Ziercke auch geschickt darin, Zusammenhänge oder Fakten zu verstecken, wenn es ihm dient. Zitat:
»Ich stoße eine Diskussion an, dass die deutschen Internet-Provider gesetzlich verpflichtet werden sollten, Webseiten auszufiltern …«
Die erste Abschwächung besteht in dem Ausdruck eine Diskussion anstoßen . Das klingt offen und demokratisch, dabei ist eigentlich »ich fordere« gemeint, wie an der anschließenden Konjunktion dass zu erkennen ist. Sie passt nicht zur Diskussion . Wenn es Ziercke wirklich um eine offene Debatte gegangen wäre, hätte er die Konjunktion ob verwenden müssen. Das Zitat enthält noch ein weiteres Beispiel für eine Abschwächung, im zweiten Teil verwendet Ziercke mit sollten den Konjunktiv. Auch dieser schwächt die eigentlich gemeinte Aussage ab, es müsse ein Gesetz zur Netzfilterung her.
Schlicht und dennoch wirkungsvoll lässt sich die Verharmlosung auch durch einen entsprechenden Satzbau erreichen. So kann innerhalb einer Aufzählung eine Tatsache verschieden drastisch formuliert werden, wobei die schwächste Formulierung an letzter Stelle steht. Diese Methode, die auch als Antiklimax bezeichnet wird, macht sich ein Phänomen aus der Aufmerksamkeitspsychologie zunutze: Zuletzt genannte Dinge erinnern wir mit
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