Sprich nicht darüber
Wenn du mir jetzt nicht deine Adresse gibst, sage ich ihm, dass du auf Mallorca bist!”
Fünf Sekunden später stob Rosie erregt aus der Telefonzelle. Das Ganze machte ihr zu schaffen, aber Maurice musste endlich akzeptieren, dass sie nicht mehr die verängstigte Dreizehnjährige war, die er vor einer Vergewaltigung geschützt hatte. Sie stieg auf das gemietete Motorrad und versuchte, nicht an ihr Sparkonto zu denken. In den letzten Tagen hatte sie es ziemlich geplündert.
Sie verließ den verschlafenen kleinen Ort und schlug die Bergstraße mit den scharfen Kurven und den tiefen Schluchten ein. Dass Constantin nach England geflogen war, um sie zu suchen, war das Allerletzte. Sie kam sich vor wie gejagt. Vor ein paar Wochen hatte dieser Mensch sie noch gar nicht gekannt, und jetzt tat er, als wäre sie sein Eigentum. Hatte sie nicht das Recht, als freier Mensch zu entscheiden, wo sie sich aufhalten wollte? Sie hatte sich auf die Heirat eingelassen, was wollte er denn noch?
Wenig später stand Rosie vor einem zerbeulten eisernen Namensschild, das mit einem Stück Stacheldraht an einem stark rostenden Tor hing. Son Fontanal war offenbar nur über eine ausgefahrene, steile Piste durch einen dichten Pinienwald zu erreichen. Rosie ließ ihr Motorrad stehen, und nach einer halben Stunde Fußmarsch erblickte sie in einem romantischen Tal das Heimathaus ihres Vaters. Ihr Atem stockte, es war einfach zauberhaft.
Das Dach der Villa bestand aus verblichenen roten Ziegeln, die Mauern aus alten, pfirsichfarbenen Steinen. Die beiden Seitenflügel des zweistöckigen Gebäudes trafen in einer reizvollen Loggia aufeinander, die auf mit Jacarandablüten überwachsenen Säulen ruhte. Ein gepflasterter Weg führte um das Haus herum. An der Südseite lag ein Garten unter Palmen, umgeben von einem verfallenen Bogengang. Nein, das Anwesen war nicht verfallen, nur alt, korrigierte sich Rosie. Hier und da musste ein Dachziegel ersetzt werden, die Wände zeigten ein paar Risse – aber auf keinen Fall war Son Fontanal die Ruine, als die Constantin es bezeichnet hatte.
Sie rannte den abschüssigen Weg hinunter und hielt erst an, als sie an der Pforte zum Vorhof anlangte. Eine rundliche ältere Dame schlummerte in einem Liegestuhl im Schatten der Loggia. Rosie trat näher und fragte sich, wie sie wohl ihre Anwesenheit erklären sollte. Die Frau wachte auf und starrte Rosie überrascht an. Dann erstrahlte ihr faltiges Gesicht.
Erstaunlich wendig sprang sie auf und breitete die Arme aus, als wollte sie Rosie an die Brust drücken. “Señorita Estrada?” rief sie.
Ein Schwall spanischer Worte brach über sie herein, während die alte Dame auf sie zueilte, ihre Hände ergriff und sie überschwänglich auf beide Wangen küsste.
Die Frau hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Sie zog ein reichlich ramponiertes Foto aus der Tasche ihrer makellosen weißen Schürze. “Don Antonios Tochter”, verkündete sie und wies stolz den Schnappschuss von Anton und Rosie vor. “Ich bin Carmina.”
Antons alte Kinderfrau. Damit war klar, dass Rosie sich nicht lange vorstellen musste. Als Anton nach Mallorca geflogen war, um Son Fontanal zu kaufen, hatte er Carmina noch im Haus vorgefunden. Und in der Seligkeit des Wiedersehens hatte er ihr von seiner Tochter erzählt. Rosie hatte mit den Tränen zu kämpfen, so ergreifend war dieser Moment. Es machte sie glücklich, dass ihr Vater sich letztlich doch jemandem anvertraut und von ihrer Existenz gesprochen hatte.
Die alte Dame suchte erneut in ihrer Schürzentasche und brachte einen mehrfach gefalteten Zeitschriftenartikel zum Vorschein. “Nicht Señorita … Señora, ja?” berichtigte sie eifrig. “Señora Voulos.”
Verflixt aber auch, dachte Rosie wütend und fassungslos zugleich. Sogar hier in dieser Einöde war es ihr nicht gestattet, diesen Mann und die alberne Hochzeit zu vergessen. In einer Mischung aus Spanisch und Englisch erkundigte sich Carmina besorgt nach dem Verbleib des esposo – des Ehegatten. Rosie biss die Zähne aufeinander.
Im selben Moment brach ein Knattern und Dröhnen über den stillen Hügel herein. In düsterer Vorahnung sah Rosie zum Himmel. Im endlosen Blau hing ein purpurroter Hubschrauber wie ein giftiges Insekt. Er suchte offenbar nach einem Landeplatz. Etwa fünfzig Meter vor der Villa kam er herunter.
Noch bevor die Rotorflügel stillstanden, sprang ein Mann aus der Maschine. Rosie stand immer noch da wie erstarrt.
Mit energischen Schritten stürmte
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