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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Informationen und Zeit zum Planen.
    R’s Tage waren gezählt. Da war sich Jorgelito hundertprozentig sicher.
     
    Rückblicke.
    Jorge hatte sich erstaunlich schnell erholt. Am Anfang, als JW ihn völlig zerschlagen im Wald gefunden hatte, kapierte er gar nichts. Wer zum Teufel war dieser Östermalmfuzzi überhaupt? Quatschte von neuen Märkten, der Entwicklung der Koksbranche. Wollte er sich etwa dranhängen?
    Fünfzehn Minuten lang Businessgelaber an einen todgeweihten Latino.
    Jorge hörte kaum zu.
    JW versprach, ein Auto zu holen. Schmerzstillende Mittel zu besorgen.
    Jorge forderte ihn auf abzuhauen.
    JW ging auf den Weg hinunter.
    Jorge blieb einsam liegen. Die geringste Bewegung verbunden mit außerirdischen Schmerzen. Die Kälte kroch ihm in die Knochen. Jorge wollte nur noch bewusstlos werden. Verschwinden. Aber die Fragen rasten schlimmer in seinem Kopf herum als die Schmerzen: Würden die Jugos auch Paola fertigmachen? Würden sie ihn von nun an zufriedenlassen? Sollte er besser sofort das Land verlassen? Und wenn ja, was für Möglichkeiten hatte er? Kein Geld, keinen Pass, keine Kontakte. Mit anderen Worten: genauso brillante Chancen zurechtzukommen wie ein ausgezehrter Häftling in Österåker.
    Der Wald wurde dunkler. Das Wetter schlechter. Die Baumstämme sahen schwarz aus. Die Äste duckten sich gen Boden.
    Es fühlte sich an, als seien seine Oberarme und Oberschenkel gebrochen. Sein Rücken auseinandergerissen. Als hätte er neben seinem Hintern einen zusätzlichen, aufgeschlitzten – die merkwürdige Symmetrie der Natur in Vollendung: zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher, zwei Arme und zwei Beine. Und jetzt auch noch zwei Ärsche.
    Er versuchte einzuschlafen. Keine Chance.
    Er fror.
     
    Die Definition von Ewigkeit: Jorges anderthalb Stunden im Wald, bevor JW wieder auftauchte. Er hatte einen massigen Kerl bei sich, einen Gorilla. Sie hoben ihn hoch. Jorge dachte, er würde sterben, zum zweiten Mal innerhalb von vier Stunden. Pest oder Cholera. Zuerst von einem verrückten Jugo totgeschlagen und dann von einem überdimensionalen Libanesen totgetragen werden.
    Ein weißer Mazda, ein Lieferwagen, wartete auf dem Schotterweg. Im Laderaum eine gepolsterte Pritsche. Sie schnallten ihn fest. Ein Mann mit schwedischem Aussehen, von dem Jorge annahm, dass er ausgebildeter Krankenpfleger war, gab ihm Morphin. Er dämmerte weg. Träumte von Plastiktüten mit Lebensmitteln, die sich von selbst bewegten.
     
    Fragmente der Erinnerung.
    Erwachte in einem kalten Raum. Verwirrt. In Sicherheit, aber mit der Befürchtung, im Krankenhaus gelandet zu sein. Er würde zwar gepflegt, aber irgendwann entdeckt werden – zurück in die Zelle in Österåker verfrachtet werden. Dann brachen die Schmerzen über ihn herein. Er brüllte.
    Ein breitschultriger Mann im Zimmer, derselbe, der ihn in den Kastenwagen gehoben hatte. Der Mann: Polohemd und dunkelblaue Jeans. Jorge begriff allmählich, dass er nicht im Krankenhaus war. Irgendwas am Aussehen des Mannes signalisierte es ihm – sein Gesicht sah nicht so aus, wie man es von einem Krankenpfleger erwarten würde. Grobe dunkle Züge. Narben entlang der einen Gesichtshälfte. Der Mann lächelte, ein Goldzahn schimmerte in der oberen Zahnreihe. Vielleicht war es der Zahn, der es endgültig bestätigte, kein Mensch, der in einem Krankenhaus arbeitet, grinst derart mit einem riesigen, in Gold gefassten Schneidezahn.
    Der Mann, Fahdi, grinste: »
Allahu Akhbar,
du lebst.«
     
    Einige Tage später. Er erwachte. Jemand befeuchtete seinen Arm, er war grünlich verfärbt. Auf dem einen Arm und dem linken Oberschenkel: Schorf, der dabei war, abzuheilen. Fortschritt. Er war also nicht mehr nur blau geschlagen – er war auch grün geschlagen.
    Der Typ, der seinen Arm gewaschen hatte, stellte sich als Petter vor und sagte: »Du wirst dich erholen, Mann.« Jorge ließ seinen Arm wieder aufs Bett fallen. Der Typ streckte sich nach einem Glas mit roter Flüssigkeit. Ein Strohhalm im Glas. Hielt den Strohhalm an Jorges Mund. Jorge sog. Es schmeckte nach Himbeersaft.
    Der Typ verließ den Raum. Jorge schaute an die Wand. Vorgezogene Gardinen. Befand sich dahinter ein Fenster? Er versuchte den Kopf zu drehen. Es tat zu weh.
    Blieb still liegen. Schlief wieder ein.
     
    Morphinträume: Jorge ging mit Paola zusammen eine dunkle Straße entlang. An den Straßenrändern hohe grüne Steinmauern. Scheinwerfer beleuchteten Teile der Straße. Weicher Asphalt. Jorges Füße sanken ein.

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