Spür die Angst
Gefrierboxen und der Kuchenabteilung umher. Eis oder Kuchen, das war die Frage. Nein, er konnte nicht nur ungesunde Sachen kaufen. Entschied sich für Obstsalat. Nahm Apfelsinen, Äpfel, Kiwis und Bananen. Erstaunt über sich selbst – er war ja geradezu genial.
Er passte irgendwie nicht in eine Umgebung wie diese. Es war merkwürdig – dieselbe Unsicherheit, die Menschen befiel, die er erpresste, denen er Geständnisse entlockte, mit dem Tod drohte, verspürte er selber an ganz gewöhnlichen Orten. Im Supermarkt, in der Pizzeria, auf der Straße. Hatte den Eindruck, dass die Leute ihn anstarrten, direkt durch ihn hindurchsahen. Ihn als minderwertigen Mitbürger, kriminellen Parasiten, schlechten Vater betrachteten.
Und dennoch, wenn er sich unter den Leuten im Laden so umsah, wurde ihm klar, dass eigentlich sie es waren, die es nötig hatten, etwas Schwung in ihr Leben zu bringen. Mrado wusste jedenfalls, was es bedeutete zu leben.
Er blätterte in einer Handyzeitschrift, die er aus dem Zeitungsregal vor den Kassen genommen hatte. Die neuesten Finessen: mobiler TV -Receiver, Online-Banking per Handy, Pornos auf dem Handy.
Jemand sagte seinen Namen.
»Mrado, bist du’s?«
Mrado sah auf.
»Wie geht’s?«
Mrado erkannte den Typen wieder. Hatte ihn wer weiß wie lange nicht mehr gesehen. Ehemaliger Klassenkamerad aus Södertälje, Martin. Klassenbester.
»Martin, nett dich zu sehen.«
»Verdammt, Mrado, es ist bestimmt Jahre her, dass wir uns gesehen haben. Warst du eigentlich auch beim Klassentreffen, wann war das noch gleich?«
Das Klassentreffen: zehn Jahre, nachdem Mrado die Neunte abgeschlossen hatte. Damals war er sechsundzwanzig gewesen. Hatte erst vorgehabt, darauf zu scheißen und nicht hinzugehen. Doch dann entschloss er sich, es ihnen zu zeigen. Der Schläger, den sie gehasst hatten, war immer noch ein Schläger. Mit einem Unterschied – jetzt verdiente er das große Geld. Er hatte eine Stunde vorher zusammen mit Ratko in einem Pub in der Nähe gesessen. Drei große Starke und zwei doppelte Whisky gehoben. Erst danach fühlte er sich in der Stimmung hinzugehen.
»Ach ja, das Klassentreffen. Genau. Und was machst du heute so?«
Mrado wollte nicht auf das Thema eingehen. Das Klassentreffen war in einem Fiasko ausgeartet: Mrado in eine Schlägerei mit zwei Provokateuren von früher verwickelt. Es hatte sich nichts geändert. Sie waren immer noch hinter ihm her. Hatten nicht kapiert, wer er inzwischen war.
»Ich arbeite am Gericht«, antwortete Martin.
Mrado erstaunt. Martin in grüner Windjacke, verschlissenen Jeans, Von Dutch-Kappe. Sah jung, soft aus. Nicht gerade der Juristentyp.
»Interessant. Bist du Richter, oder was?«
»Ja, ich arbeite als Assessor am Svea hovrätt. Berufungen, du weißt schon. Extrem viel zu tun. Wir sind personell absolut unterbesetzt, schuften wie die Tiere. Sechzigstundenwochen sind nichts Ungewöhnliches. Nee, nee, Gerichte sind heutzutage nichts mehr wert. Ehrlich gesagt, das ganze System ist krank. Ich würde dreimal so viel verdienen, wenn ich irgendwo in die Bürobranche wechseln würde.«
»Und warum wechselst du nicht?«
Martin schob seine Von-Dutch-Kappe nach hinten. »Ich glaube nun mal daran. Funktionierende Gerichte. Ein Gerichtswesen, in dem die besten Juristen arbeiten, garantiert letztlich den Rechtsstaat. Die Möglichkeit für Menschen, ihre Urteile und Bescheide von einer höheren Instanz prüfen zu lassen. Schnellere Verhandlungstermine ohne Fehlentscheidungen, durchdachte und einheitliche Beschlüsse.«
Mrado hoffte, dass er nichts über sich selbst würde erzählen müssen.
Er entgegnete: »Du kannst froh sein, dass du mit etwas arbeitest, an das du glaubst.«
»Weiß nicht, ob ich noch länger daran glaube. Ich meine, wir verurteilen die Leute ja am laufenden Band, aber das Pack vermehrt sich exponentiell. Die Delikte sind brutaler, zahlreicher, professioneller geworden. Die Polizei kommt überhaupt nicht nach. Wir verurteilen sie so schnell wir können, aber sie kommen nach zwei Jahren zurück, wenn sie eine kurze Zeit abgesessen haben und wieder draußen sind. Oftmals begehen sie dann exakt das gleiche Verbrechen, für das wir sie zuvor verurteilt haben. Meinst du, die ändern sich? Keine Spur. In absehbarer Zeit werden, verdammt nochmal, die Gangs die Stadt an sich reißen. Vielleicht sollte man seine Dienste lieber ihnen anbieten. Da kommt mehr Zaster rüber. Haha. Und übrigens, was machst du selbst so?«
Mrado hatte es geahnt: Da
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