Spur ins Eis
Veranda war tief verschneit und auch die Balustrade war unter dem Schnee versunken. Von hier unten konnten sie die französischen Fenster erkennen, die in die Bibliothek führten. Dahinter flackerte Feuerschein.
Devlin hörte etwas hinter sich, und als sie sich umdrehte, kamen drei Wölfe um die Ecke des Südflügels. Im hohen Schnee sah sie nur ihre Köpfe.
Sie wich an den Fuß der Treppe zurück. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu beobachten, wie sie näher kamen. Gleich würde sie sterben. Sie schloss die Augen, spürte, wie sich der Schnee auf ihrem Gesicht, ihren Augenlidern, ihrer Nasenspitze sammelte. Plötzlich überfiel sie eine seltsame Wärme, und sie hieß die Sinnestäuschung willkommen. Ihre Lippen bewegten sich im Rhythmus ihrer Gedanken. Sie würde sich ein wenig hinlegen, um Kraft zu sammeln, und wenn sie aufwachte, würde sie in die Bibliothek hinaufgehen und sich ans Feuer setzen.
Aber es hatte keine Eile. Wenn es sein musste, hielt sie eine Nacht lang durch. Ja, sie würde sogar bis zum Frühjahr, bis es taute, durchhalten. Mit jeder Minute, die verging, wurde ihr wärmer.
Devlin hörte die Wölfe jetzt kommen. Knurrend schlichen sie durch den Schnee auf sie zu, und das Schnappen ihrer Kiefer klang in der Nacht wie Schüsse.
52
Was sie verloren
Zwanzig Minuten waren vergangen, seit er den Teenager hinaus in den Sturm geworfen hatte. Die Texaner im Speisezimmer spielten immer noch lärmend Karten um lächerlich hohe Summen.
Ethan führte seit zehn Jahren seine Geschäfte hier in der Lodge, aber so katastrophal war die Lage noch nie gewesen – Gerald war tot, Paul ebenfalls, und diese Frau, Kalyn, hatten sie immer noch nicht gefunden. Allerdings würde Donald sie bestimmt noch vor dem Morgengrauen finden. Das war ihm bei den meisten anderen auch gelungen.
Ethan streckte sich auf einem der braunen Ledersessel vor dem Kamin in der Bibliothek aus. Sein Bruder saß immer noch im Sessel in seinem Schlafzimmer, und Gerald lag im Alkoven des Südflügels, wo Kalyn ihm die Kehle durchgeschnitten hatte.
Morgen früh würde er sich um alles kümmern – er würde sauber machen, mit den Texanern reden, wenn sie sich überhaupt noch daran erinnerten. Heute Abend wollte er sich damit nicht mehr befassen.
Er füllte seine Lungen mit einem tiefen Zug.
Die lange Bambuspfeife glitt ihm aus den Fingern, als die Wirkung eintrat. Ethan lehnte sich im Sessel zurück, grinste blöde und blies Rauchringe an die Decke.
Durch den Opiumnebel hörte er jemanden an die Tür hämmern. Einen Moment lang dachte er, es sei sein Herz, weil es in der letzten Zeit im Rausch häufig hämmerte, als ob ein Schmied auf den Amboss schlagen würde. Aber das hier war ein anderes Geräusch. Sein Herz schlug leise und langsam ; etwas Tröstliches lag in diesem stetigen Rhythmus.
Wenn er Opium rauchte, bewegte er sich eigentlich nur selten aus seinem Sessel. Er zog es vor, in der Wärme des Feuers hinüberzudämmern.
Jetzt kostete es ihn gewaltige Anstrengung, sich aus dem Sessel zu erheben. Seine Füße kamen ihm vor wie seltsame Anhängsel, die nicht zu ihm gehörten, als er endlich stand. Er spürte sie nicht, als er auf den kalten Steinboden in der Halle trat, wo Donald bereits mit dem Gewehr im Anschlag vor der Tür wartete.
»Hartnäckiges kleines Ding, was ?«, sagte Ethan. »Das muss man ihr lassen.« Er nahm Donald das Gewehr aus der Hand. »Willst du sehen, wie sie in die Luft fliegt ?«, fragte er.
Der Wachmann kicherte, als Ethan die Eisenriegel beiseiteschob und die Tür öffnete.
Aus Dons Perspektive sah es so aus, als ob Ethans Hinterkopf explodierte. Wie ein Sack Knochen sank sein Körper zu Boden. Ein Splitter aus Ethans Schädel drang Don ins Auge.
Auf der Schwelle stand eine schattenhafte Gestalt. Don wich zurück und griff nach der Glock in seiner Tasche, als ihn ein zweiter Blitz blendete, und der glühend heiße Schmerz, den er verspürte, war das Ende.
53
Will Innis, halb erfroren, übel zugerichtet und vor Kälte und Erschöpfung nicht mehr ganz bei sich, humpelte durch die offene Tür in die Lodge. Er blickte auf die beiden Männer, die er gerade erschossen hatte. Das Blut, in dem sie lagen, wirkte im Schein der Laternen wie schwarzer Lack.
In einem Durchgang am anderen Ende der Halle hörte er Schritte, und da ihm die .45 jedes Mal beinahe aus der Hand zu springen schien, wenn er auf den Abzug drückte, tauschte er sie gegen das Gewehr des ersten Mannes, den er getötet hatte, ein.
Er
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