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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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näher rückte. Normalerweise verschwand er dann in wärmere Gefilde: Cairns, Broome, Vanuatu. Ich sah auf den Teller. Er war großzügig gewesen, keine Rationskontrolle.
    »Zurück in die Küche«, sagte ich. »Wir sprechen uns noch.«
    Er ging. Während ich aß, blätterte ich die Zeitung durch, auf der Suche nach Steven Levesque. Als ich fertig war, bezahlte ich an der Theke und steckte meinen Kopf in die Küche.
    »Daylesford«, sagte ich. »Schön. Wird aber auch kalt da. Bist du sicher, dass das eine gute Entscheidung ist?«
    »Hier gibt's doch keinen Respekt mehr«, sagte er, während er mit der linken Hand Eier verrührte und das Handgelenk der rechten elegant schwenkte, um ein Omelett in Bewegung zu halten. »Der verdammte Koch. Nur der verdammte Koch.«
    »Enzio, wie kannst du nur von Respekt reden? Respekt ist für normale Chefs. Du bist weit jenseits von Respekt. Deine Gäste werden dich nicht gehen lassen.«
    Ein hustendes Lachen, ein misstrauischer Blick aus zusammengekniffenen, blutunterlaufenen Augen. »Und wo hast du denn den Scheiß gehört?«
    »Wo? Überall. Immer wenn ich einen Gast treffe, höre ich das. Enzio. Das ist es, worüber wir reden. Weißt du was?«
    Rote Augen wanderten wieder zu mir, die Hände blieben locker in Bewegung.
    »Die Leute nennen das hier nicht Meaker's.«
    Augenbrauen hoben sich ein wenig.
    »Die Stammgäste, die nennen es Enzio's. Wie hört sich das an?«
    Er zuckte die Achseln, nahm die Pfannen vom Feuer. »Ha. Wie kommt's nur, dass ich das immer nur zu hören kriege, wenn ich weggehe?«
    Ich seufzte. »Enzio, die Leute gewöhnen sich an Brillanz. Glaub's mir. Ich bekenne mich schuldig. Wir alle sind schuldig. Von jetzt an werde ich dafür sorgen, dass du hörst, was die Gäste denken.«
    Enzio grunzte. »Ich denk noch mal drüber nach. Vielleicht.«
    Ich tätschelte ihm den Arm. Es ist immer mühsam zu verhindern, dass das sorgsam gewebte Netz des eigenen Lebens wieder in seinen natürlichen Zustand zerfällt, der aus lauter losgelösten Fäden besteht.
    Bei Taub's fing ich mit dem Korpus der Westwand von Mrs. Purbricks Bibliothek an. Heutzutage werden die meisten Möbel aus mittelstarken Spanplatten hergestellt, die dann mit Furnier und hin und wieder einem Stück Vollholz verkleidet werden. Charlie tat, als wüsste er nichts von der Existenz der Spanplatte. Ein Möbelstück von Taub hatte einen Korpus aus europäischer Esche, die vierzig Jahre abgelagert war. Verkleidet wurde er dann mit Paneelen aus Holz, das aus der Bank ausgewählt wurde. Taubs Paneele schwebten in ihren Rahmen: kein Leim. Alle Verbindungen, innen wie außen, waren Schlitz und Zapfen oder Schwalbenschwänze, alles handgemacht.
    Heute war die Längsteilung der Esche dran. Charlie hatte das Holz herausgelegt und mir eine Liste mit Abmessungen auf einem Papierstreifen hinterlassen, der von einer Seite der Age von Dienstag abgerissen war.
    Lange Längen von knochentrockenem Hartholz zu teilen, ist nicht ganz ungefährlich. Die Maschine soll sauber und exakt die vorgegebenen Maße schneiden. Doch damit sie das tun kann, muss das Holz unter eine scharfzähnige Stahlscheibe gezwungen werden, die sich rasend schnell in der Gegenrichtung dreht. Die Stahlscheibe ist abweisend, will alles zurückwerfen, was sie berührt. Und während des Durchtrennens muss ein Stück Holz zwischen der grausamen Klinge und einer Stahlwand hindurch. Die Toleranz ist winzig. Keine Garantien für die Sicherheit des Bedieners. Ein Steckenbleiben ist nicht ungewöhnlich. Holzstücke haben schon Kehlen durchbohrt, Menschen geblendet, die fünf Meter weiter weg standen und andere, in der Regel Männer, durch den Solarplexus aufgespießt wie Schmetterlinge. Nicht nachlassende Wachsamkeit ist alles: sanftes Zuführen, konstanter Druck gegen die Wand, den Vibrationen nachspüren, dem Geklapper lauschen.
    Eine anstrengende Arbeit, die einen aber von dem unaufhörlichen Gefasel des Geistes erlöst, dem endlosen Tasten nach schmerzempfindlichen Orten und Abgründen, die tödliche Dinge beherbergen.
    Ich hatte gerade das letzte Dreimeterstück auf den Stapel gelegt, den Helm abgesetzt und die nachlassende Anspannung in Nacken und Rücken zu spüren begonnen, als es klingelte. Charlie reagierte nicht gern auf die Türklingel. Wenn die Türklingel läutete, hieß das oft, dass die äußeren Belange des Betriebes erkundet werden mussten. Je heftiger es klingelte, desto weiter außen lagen diese Belange.
    Aber Charlie war nicht da. Heute war

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