Spuren im Nichts
sein. Was bedeutet, dass es zumindest den Versuch einer Kommunikation über Funk gegeben haben muss.«
»Vielleicht bewertest du diesen Schildkrötenpanzer auf Kanes Wandgemälde einfach zu hoch«, zweifelte Solly. »Es könnte auch andere Erklärungen dafür geben. Vielleicht haben sie eine planetengebundene Zivilisation entdeckt. Vielleicht eine präindustrielle Zivilisation, ohne elektrischen Strom, ohne Funk, ohne alles. Nur Fackeln und Kerzen und das einheimische Äquivalent von Pferden. In diesem Fall würde deine Theorie …«
»Haben sie eben nicht«, beharrte sie. »Es kann nicht so gewesen sein.« Sie saßen im Missionskontrollraum der Hammersmith und tranken gemütlich Kaffee.
»Und warum nicht?«
»Weil der Alnitak viel zu jung dazu ist. Nicht einmal zehn Millionen Jahre alt. Also gibt es mit Sicherheit noch keine einheimischen Lebensformen. Außerdem ist die ultraviolette Strahlung viel zu stark. Millionenfach höher als die von Helios.«
»Oh.«
»Genau. Sie würde auf der Stelle alles grillen, was sich bewegt. Wer auch immer in diesem System gewesen sein mag, es kann sich nur um eine raumfahrende Spezies aus einem anderen System gehandelt haben.«
Zwei Jahrhunderte zuvor war ein Überwachungs- und Erkundungsschiff im System des Alnitak gewesen. Sie hatten nicht viel vorgefunden: eine einzige Welt, ein eingefangener Gasriese ganz weit draußen, das war alles gewesen.
»Jedenfalls ist es lange her, dass die Radiosignale ausgestrahlt wurden«, sagte Solly. »Drei Jahrzehnte, das bedeutet, dass sie extrem abgeschwächt sind. FALSS ist ein gutes System, aber vielleicht ist es nicht gut genug, um so schwache Signale aufzufangen. Oder sie aus dem allgemeinen Untergrundrauschen auszufiltern.«
Kim hatte sich bereits mit den Spezifikationen des Systems vertraut gemacht und war äußerst zuversichtlich. »Wenn es Signale gegeben hat, werden wir sie finden«, erwiderte sie.
Den ersten Tag der Reise verbrachten sie damit, sich häuslich einzurichten, ihre Quartiere einzuräumen und das Schiff zu erkunden. Sie fragte sich, ob sie ihn vielleicht dadurch beleidigt haben mochte, dass sie sich anfangs wenig beeindruckt von der Hammersmith gezeigt hatte. Doch sie konnte nicht anders, das Schiff erinnerte sie an die einfachen Wohnungen des Seabright Institute, wo Gäste untergebracht wurden, die keinen besonderen Status genossen.
Sie spazierten durch die Ebenen, und er zeigte ihr die Freizeiteinrichtungen und die VR-Sektion. Sie inspizierten die beiden verschiedenen Maschinen, den Hauptantrieb, der die Hammersmith durch den Realraum beförderte, sowie das transdimensionale Interface, den so genannten Sprungmotor. Das TDI war so klein und unscheinbar, dass es in Kims Hände gepasst hätte.
Sie war angenehm überrascht von der Tatsache, dass der Übergang in den Hyperraum keine unangenehmen Nebeneffekte mit sich gebracht hatte. Sie wusste heute, im Gegensatz zu damals, als sie ein Kind gewesen war, dass manche Menschen während des Sprungs ernsthaft krank wurden und dass andere merkwürdig veränderte Perspektiven wahrnahmen, dass Wände mit einem Mal weniger massiv wirkten, dass die künstliche Gravitation nachließ oder zunahm, dass manche Menschen behaupteten, die Gedanken der Leute in ihrer Umgebung lesen zu können. Es gab Geschichten über Träume, die von Außerirdischen handelten, über depressive oder auch euphorische Anfälle. Solly erzählte, dass ein Teil Wahrheit daran war. Sämtliche interstellaren Schiffe führten ein großzügiges Sortiment an Beruhigungsmitteln und Antidepressiva mit. Solly hatte Menschen mit furchtbaren Kopfschmerzen erlebt, mit Magenkrämpfen oder Zahnweh, alles ohne jeden erkennbaren physiologischen Grund. »Aber es war nie mehr als eine vorübergehende Geschichte«, sagte er. »Wie Seekrankheit.
Auch wenn«, so fügte er hinzu, »ein Teil dieser Effekte durchaus unheimlich sein kann. Träume können beispielsweise unglaublich lebendig werden. Und ich habe auch andere merkwürdige Dinge gesehen. Ich erinnere mich an eine Frau, die glaubte, sich wieder zu einem Kind verjüngt zu haben, und einen Mann, der meinte, bis über seinen Tod hinaus in die Zukunft sehen zu können. Manchmal zeigen sich alternative Persönlichkeiten. Ein älterer Passagier schwor, dass ein Dämon von ihm Besitz ergriffen hätte. Und ein weiterer bestand darauf, dass ihm ein Werwolf an Bord gefolgt sei.«
»Ein Werwolf?«
Solly blickte ihr in die Augen. »Du hast nichts Außergewöhnliches
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