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Spuren im Nichts

Spuren im Nichts

Titel: Spuren im Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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sie.
    Zwei Tage später fand ein ähnliches Begräbnis für Solly statt.
    Es war ein windgepeitschter Hügel in der Nähe des Ozeans. Sollys Familie war da, größtenteils Leute, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Die Sea Knights waren ebenfalls wieder gekommen und standen unter einem flatternden Banner mit ihren Insignien, einem Dreizack vor weißem Hintergrund. Vertreter des Instituts waren in großer Zahl versammelt. Selbst Agostino zeigte sich. Sollys Freunde traten vor, wie es der Brauch gebot, um letzte Worte über ihn zu sprechen. Andere standen nur da und wischten sich die Augen.
    Der Wind wehte vom Ozean herein. Ein mit Solly befreundeter Komponist hatte extra ein Stück geschrieben: Though Tomorrow Never Come – Als gäbe es kein Morgen. Er hatte eine Sängerin mitgebracht, und Kim stand da und lauschte, während die Tränen über ihre Wangen rannen.
    Schließlich wurde, wie sie vermutet hatte, auch ihr Name aufgerufen.
    Sollys Bruder stellte sie vor: »Kim Brandywine, die junge Lady, für die Solly sein Leben gegeben hat.« Alle blickten sie erwartungsvoll an. »Kim«, fügte Sollys Bruder hinzu, »warum kommst du nicht hoch und sagst ein paar Worte?«
    Sie hatte gehofft, dass man sie in Ruhe und allein lassen würde, doch es war wohl unvermeidlich und das Wenigste, was sie tun konnte; also hatte sie sich darauf vorbereitet. Sie hatte ein Beruhigungsmittel genommen in der Hoffnung, die Fassung zu bewahren, doch es konnte ihre Trauer und ihren Verlust nicht lindern. Sie fühlte sich leer im Kopf und vergaß die Zeilen, die sie auswendig gelernt hatte. Stattdessen redete sie stockend, halb automatisch, und gab banale Phrasen von sich, die der Wind von ihren Lippen wehte.
    »… selbstloseste Mensch, den ich je gekannt habe …« Am Horizont war ein Segel, und das Meer wirkte unwirklicher als alle Landschaften in den Fenstern der Hammersmith, als Solly noch an ihrer Seite gestanden hatte.
    Die Sonne schien hell, und der Himmel war leer. »… ich wäre heute nicht hier …«
    Sie kämpfte die Tränen herunter, und gegen Ende hob sie die Stimme über den Wind. »Gott hilf mir, ich habe Solly geliebt …« Zwei Möwen kreisten über der Brandung.
    Und dann hörte sie die Stimme eines Kindes: »Und warum hat sie ihn dann allein gelassen, Mami?«
    Als sie geendet hatte, dankte Sollys Bruder ihr höflich, nannte ein paar weitere Sprecher, verkündete, dass im Südpavillon ein paar Erfrischungen bereit stünden, und beendete sodann die Trauerfeier.
    Kim blieb noch minutenlang stehen, unfähig, sich zu bewegen. Mehrere Sea Knights kamen zu ihr und wünschten ihr alles Gute. Dann blickte sie unvermittelt in Sollys wache blaue Augen. Sie gehörten einer jungen Frau mit langen dunklen Haaren.
    »Ich bin Patricia Case«, stellte sie sich vor. »Sollys Schwester. Ich wollte Sie nur einmal aus der Nähe sehen.« Sie stieß die Worte mit eisiger Stimme hervor, kämpfte mit ihren Tränen, wandte sich ab und stapfte davon.
    Es war das erste und einzige Mal in ihrem bisherigen Leben, dass Kim nackter Verachtung gegenüber gestanden hatte. »Es war nicht so, wie Sie denken!«, rief sie der Frau hinterher. »Es war nicht so …«
    Die Medien stellten sie in einem ähnlichen Licht dar. Eine hilflose Passagierin auf einem Forschungsschiff, die in einem Rettungsschiff gestrandet war, nachdem die Maschinen verrückt gespielt hatten.
    Sie erhielt Anfragen für Interviews oder Gastauftritte in verschiedenen Talkshows sowie lukrative Angebote für Exklusivberichte über die Ereignisse an Bord der Hammersmith. Kim lehnte alles ab.
     
    Ben Tripley hatte ihr zu Hause eine Nachricht hinterlassen. Sie spielte die Aufzeichnung ab und war überrascht, als er sie nur traurig ansah und ihr sein Beileid ausdrückte. Es ging ihr sehr nah. Sie hatte eigentlich erwartet, dass er sie für den zerstörten Ruf seines Vaters verantwortlich machen und darauf hinweisen würde, dass er sie gewarnt hatte. Doch er vermied alle Vorwürfe und sagte nur, dass er verstand, wie hart es für alle Betroffenen sei. Und er drückte sein Bedauern wegen Emily aus. »Ich weiß nicht, was geschehen ist«, sagte er. »Ich kann es mir nicht einmal vorstellen, aber es tut mir sehr Leid. Ich wünschte, es wäre anders gekommen.«
    Wie sollte sie antworten? Sie hatten von Anfang an Recht? Ich weiß ebenfalls nicht, was geschehen ist, und vielleicht ist Ihr Vater ja völlig unschuldig, aber der Schaden ist angerichtet? Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Ihr

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