Spuren im Nichts
der Tatsache bewusst, dass der Zug vielleicht nicht pünktlich kommt?«
»Er kommt pünktlich«, entgegnete sie.
»Null«, meldete der Timer, als sie in den Tunnel jagten. Die Scheinwerfer beleuchteten Betonwände. Unter ihnen erstreckte sich das glitzernde Maglev-Band.
»Ich hoffe sehr, Sie wissen, dass es ein Vergehen darstellt, den Piloten abzuschalten. Es ist bei Geldstrafe oder gar Gefängnis verboten.«
»Bitte konzentriere dich auf das, was vor dir liegt«, sagte Kim.
»Wissen Sie, dass die Energiekapazität sehr niedrig ist?«
»Ja.«
»Offensichtlich hat es einen Unfall gegeben. Wie konnte es geschehen, dass das System so weit ausgebrannt ist?«
»Gib endlich Ruhe, Jerry. Bring uns aus dem Tunnel raus, und ich ersetze jeden Schaden. Versprochen.«
»Das ist wirklich sehr merkwürdig.«
»Was denn nun schon wieder?«
»Hinter uns ist gerade ein weiteres Fahrzeug in den Tunnel eingefahren.«
»Sehr gut.« Das Gespenst würde in den Luftwirbeln des Fliegers ziemliche Probleme haben. »Hab ich dich in der Falle, du verdammtes Mistding.«
Sie jagten durch den Tunnel, und Kim klammerte sich an ihre Sitzlehnen. Die Wände rasten langsamer vorbei.
Sie warf einen Blick auf die Instrumente. Jerry hatte den Flieger auf einhundertsiebzig Stundenkilometer verlangsamt. Und er wurde noch langsamer. »Jerry …«
»Kim, bei dieser Geschwindigkeit verlieren wir unsere Stabilität.«
»Du darfst nicht langsamer fliegen, Jerry! Wir müssen bei zweihundert Klicks bleiben, oder wir kommen nicht am anderen Ende heraus!«
»Unmöglich. Nicht ohne gegen die Wand zu prallen.«
»Jerry …«
»Ich bin nicht verantwortlich für diese Situation.«
Es war neun Uhr siebenunddreißig. Sie hatten genau fünf Minuten, um den Tunnel hinter sich zu bringen. »Jerry, wir müssen es versuchen …!«
»Es tut mir Leid. Ich habe keine andere Wahl, als auf eine beherrschbare Geschwindigkeit herabzugehen.«
Sie flogen langsamer als einhundertfünfzig.
»Es ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Sie ist gleich Null, dass wir den Tunnel mit der von Ihnen verlangten Geschwindigkeit bewältigen können. Und sie ist größer Null, dass der Zug ein paar Sekunden später kommt … Falls ja …«
Sie zog den Stecker erneut und versuchte zu steuern, doch die Tunnelwände jagten zu schnell an ihr vorbei. Sie konnte den Flieger nicht kontrollieren und musste noch weiter verlangsamen, unter hundertzwanzig, ja sogar unter hundert Stundenkilometer.
Das Gespenst war weit zurückgefallen, doch es verfolgte sie immer noch.
Um neun Uhr vierzig hatte sie gerade die erste Hälfte hinter sich. Ihre Geschwindigkeit war auf achtzig gesunken. Die Welt schien sich zu verlangsamen. Mit einem Stich des Bedauerns dachte sie an Solly, daran, wie es war, jung zu sterben, und das Geheimnis, das sie nun doch nicht mehr lösen würde.
Die Uhr zeigte neun Uhr zweiundvierzig und fünfundvierzig Sekunden. Der Güterzug war im Tunnel, oder er würde es zumindest verdammt bald sein, und sie näherte sich ihm mit einer Gesamtgeschwindigkeit von fast dreihundert Stundenkilometern.
Nicht gut.
Der Flieger berührte mit der Unterseite die Führungsschiene. Kim flog weiter, verlangsamte ihre Geschwindigkeit noch mehr.
Voraus flackerte ein Licht. Das einzelne Scheinwerferlicht des Güterzugs.
Ende der Fahnenstange.
Sie feuerte die Bremstriebwerke, und der Flieger senkte sich auf das Band, kippte über die Seite weg und krachte gegen die Tunnelwand. Kim wurde in ihre Sicherheitsgurte geschleudert. Die Kabinenbeleuchtung erlosch, irgendetwas knisterte und begann zu brennen. Als der Flieger zur Ruhe gekommen war, hing sie kopfüber in ihrem Sitz.
Die Tunnelwand, die Decke, die Träger des Maglev-Bands, alles verschwand im grellen Licht des heranrasenden Scheinwerfers.
Sie befand sich im Untergeschoss des Tunnels. Der Flieger hatte sich mit der Nase voran verkeilt, und das Heck ragte in die Fahrbahn des Zuges. Kim schlug auf den Auslöseknopf und fiel aus dem Sitz.
Sie trat die Tür auf und krabbelte auf allen vieren nach draußen. Der Tunnel erzitterte.
Sie taumelte ein paar Meter vorwärts in dem Versuch, vom Flieger wegzukommen, und erhaschte im heranrasenden Lichtschein einen letzten Blick auf die Kreatur.
Das Maglev-Band wurde von einem Gerüst getragen, mit einem Pfeiler ungefähr alle zehn Meter. Kim warf sich hinter den nächstgelegenen, suchte Halt und vergrub den Kopf unter den Armen. Der Zug raste an ihr vorbei und krachte in den zerstörten
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