Spuren in der Wüste
kleinen dunkelroten Sessel zurück
und schaute Irene an und seufzte: »Weißt du, das war immer mein
liebster Traum, einmal, nur ein einziges Mal, eine von euch zu se-
hen. Meine Nichten.«
Sie sprang wieder auf, brachte den Kaffee aus der Küche, goß ih-
nen beiden ein, lachte und sagte: »Greif zu. Ich habe das Gebäck
selbst gemacht. Weißt du, in meinem Alter darf man sich nicht
gehenlassen. Beschäftigung, immer Beschäftigung, sonst verkommt
man und wird einfach kindisch.«
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Und zu Mittag gab es dann auch einen leichten Gemüseauflauf,
den sie sozusagen mit der linken Hand bereitete, und nach einem
kleinen Mittagsschläfchen – »das ist gut für Haut und Haar, ich bin
noch sehr eitel, mußt du wissen«, sagte Katharina und lachte – gin-
gen sie in den Zoo und taten es den Müttern mit ihren Kindern
gleich: kauften sich ein Eis und fütterten die Affen mit Erdnüssen,
und erst am Abend, als sie ruhig bei einem Glas Wein saßen, sagte
Katharina: »Du siehst müde aus, Irene. Du siehst aus, wie jemand,
der Ruhe braucht. Und wenn du magst, kannst du so lange bei mir
bleiben, wie du willst.«
»Ein paar Tage, ein paar Wochen vielleicht«, sagte Irene scheu.
»Wenn ich dich wirklich nicht störe.«
»Aber Kind! Siehst du, ich habe mein ganzes Erwachsenenleben
allein gelebt. Als mein Dieter dreiundvierzig an der Ostfront fiel,
gab es keine Liebe und keinen anderen Mann mehr für mich, denn
ich hatte eine unverzeihliche Sünde begangen. Ich hatte mich ihm
verweigert, bevor er in den Krieg mußte. Ich war so erzogen wor-
den, ich wußte es nicht besser. Da war deine Mutter anders. Sie
setzte ihren Kopf durch und wanderte einfach mit deinem Vater
nach Amerika aus, obwohl unsere Mutter so dagegen war. Und sie
heiratete ihn auch, obwohl unsere Mutter dagegen war, denn er war
ja nur ein einfacher Knecht auf unserem Hof in Ockersheim, und
wir waren schließlich Bauerstöchter. Ich blieb bei unserer Mutter,
weil sie mir leid tat, und weil sich ja jemand um den Hof kümmern
mußte, denn da konnte unsere Mutter sich vor lauter Rheumatis-
mus schon kaum mehr bewegen. Und als ich meinen Dieter beim
Erntedankfest kennenlernte, da verlobten wir uns, wie es Brauch
und Sitte war, und als er eingezogen wurde, ließ ich ihn gehen mit
dem Versprechen, auf ihn zu warten und ihn immer zu lieben.
Aber mehr gab ich ihm nicht. Und noch heute tut es mir leid.
Noch heute bereue ich es. Und deswegen blieb ich allein. Aber ge-
nug von mir. – Wie ist es dir ergangen? Du bist eine schöne er-
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wachsene Frau. Und wie geht es deinem Mann? Ist er auch in
Deutschland, in Geschäften?«
»Ich bin Witwe«, sagte Irene. »Jim ist seit sechs Jahren tot. Und
ich habe seither ein ziemlich ruheloses Leben geführt. Ich meine,
ich war von Berufs wegen viel unterwegs.« Aber sie erklärte nicht,
was das für ein Beruf war, denn da gab es ja auch nichts zu erklä-
ren.
»Und du bist seither allein geblieben? Eine so junge und schöne
Frau? Heute, wo die Zeiten so frei geworden sind?«
»Es gibt Gründe«, sagte Irene zögernd.
»Du brauchst nicht darüber zu sprechen, wenn du es nicht wil st.
Ich sehe, es würde dir weh tun. Also lassen wir es. Du bist hier, und das genügt.«
»Du hast sehr viel Verständnis, Tante Katharina.«
Die alte Frau zuckte leichthin die Schultern. »Das lernt man,
wenn man allein ist und seine eigenen dunklen Stunden kennt. Aber
ich habe natürlich Freunde und Bekannte, und meine Malerei. Ein-
sam bin ich nicht, und jetzt, wo du da bist, erst recht nicht mehr.«
Sie goß ihnen beiden Wein nach, trank genüßlich von ihrem Glas.
»Weißt du, als unsere Mutter neunundvierzig starb, da hielt ich es
allein nicht mehr auf dem Hof aus. Da waren so gute Erinnerun-
gen, an Dieter und unsere langen Spaziergänge in den Wäldern und
über die Wiesen, und an unsere Hunde – wir hatten zeitweilig acht
und auch zehn Cocker. Aber zum Schluß konnte Mutter die Hun-
de nicht mehr um sich ertragen, sie waren ihr zu lebhaft, und Mut-
ter litt auch unter Asthma; und wegen der Hundehaare riet der
Arzt, sie abzuschaffen. Ich verkaufte den Hof schließlich, und die
Hälfte des Geldes sandte ich deinen Eltern, aber du wirst noch zu
klein gewesen sein, um davon zu wissen.«
»Nein, das weiß ich noch«, sagte Irene. »Ich war zwar noch ein
kleines Kind, aber ich erinnere mich an einen runden Tontopf, in
dem mal Honig gewesen war, und Vater hat das Geld hineingetan
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und
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