Spuren in der Wüste
nicht.«
»Warum hast du ihn nicht einfach weggeschickt?«
Hans Braunbach zuckte die Schultern, setzte sich an den Küchen-
tisch. »Früher oder später mußte ja wohl mal jemand kommen, der
nach ihr fragen würde. – Setzen Sie sich, Herr Holt.«
Werner setzte sich Irenes Vater gegenüber an den Küchentisch.
»Ich habe Irene in Berlin kennengelernt«, begann er, »wir haben
uns auf Anhieb sehr gut verstanden, und ich möchte Ihre Tochter
heiraten. Aber sie ist aus Berlin verschwunden, über Nacht. Nur
durch Zufall hatte meine Mutter erfahren, daß in Irenes Paß dieser
Ort, Friend's Farm, als Wohnort eingetragen ist. Deswegen bin ich
hierhergekommen, in der Hoffnung, daß Sie mir helfen werden,
Irene zu finden.«
Nun kam auch Irenes Mutter zum Tisch und setzte sich.
»Wir wissen nicht, wo sie ist. Seit sechs Jahren haben wir sie nicht mehr gesehen.«
»Irene besucht Sie nicht? Sie schreibt Ihnen nie?«
Hans Braunbach schüttelte den Kopf, seine Frau ebenfalls.
»Aber sie ist doch Ihre Tochter.«
»Wir haben seit damals keine Verbindung mehr mit ihr.«
»Was ist damals passiert?«
Die Braunbachs starrten beide vor sich auf den Tisch.
»Vor sechs Jahren haben wir Irene zum letztenmal in New York
gesehen. Seither wissen wir nichts mehr von ihr.«
»Sie wollen nichts mehr von ihr wissen?« fragte Werner.
Die beiden antworteten nicht.
»Hat sie irgend etwas angestellt? Ist damals irgend etwas passiert,
was Sie nicht gutheißen?«
Die Braunbachs blieben stumm.
»Wir sind Irene dankbar für dieses Haus«, sagte Hans Braunbach
schließlich. »Sie hat uns die Anzahlung darauf ermöglicht, und
dann haben wir mit unseren Händen und unserem Kopf etwas da-
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raus gemacht. Wenn sie hierherkommt, werden wir ihr nicht die
Tür weisen, das können Sie ihr sagen, falls Sie Irene wiedersehen.«
»Irene nennt sich Blessing. War – ist sie verheiratet?« fragte Wer-
ner.
»Sie ist Witwe«, sagte Hans Braunbach.
»Hat sie vielleicht ihren Mann umgebracht? Ist es das?« Werner
grinste; es sollte ja ein Scherz sein.
Die Braunbachs starrten ihn nur an.
»Es ist besser, Sie gehen jetzt.«
»Natürlich«, sagte Werner und stand auf. »Es tut mir leid, daß
ich Sie gestört habe.«
Die Braunbachs blieben am Tisch sitzen, während er das Haus
verließ. Als er die Haustür hinter sich schloß, meinte er von dort
hinten, aus der Küche, ein Aufschluchzen zu hören. Aber das bil-
dete er sich wohl nur ein.
Zu solchen Eltern würde mich auch nichts hinziehen, dachte er,
und ihm fiel ein, was der Barmann Eddy über Irenes Schwester ge-
sagt hatte. Arme Doris …
Als Werner Friend's Farm hinter sich ließ, war es ihm, als kehre er
aus einem anderen Jahrhundert in die Gegenwart zurück.
Eine Frau wie Irene konnte dort nicht leben, das war ihm klar.
Er hörte ein unterdrücktes Husten hinter sich, dann ein Nach-
Atem-Schnappen, und im gleichen Moment sah er im Rückspiegel
ein kleines, herzförmiges Gesicht auftauchen, umrahmt vom glei-
chen dunkelroten Haar wie das Irenes.
Er trat vor Verblüffung auf die Bremse, und der Wagen kam schlit-
ternd zum Stehen; nur gut, daß er sich noch nicht auf der Auto-
bahn befand.
»Mann, Mädchen!« sagte er.
Sie stieg gelenkig über die Lehne auf den Vordersitz, kreuzte ihre
Knie, holte noch mal tief Atem und sagte: »Ich bin Doris. Irenes
Schwester.«
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»Das sieht man«, sagte Werner trocken. »Und was wollen Sie in
meinem Wagen?«
Sie lachte ihn mit blitzenden Augen und blitzenden Zähnen an.
»Abhauen!«
»Damit ich wegen Kidnapping geschnappt werde?«
»Ich bin kein Kind mehr.«
Das sieht man allerdings, dachte er.
»Ich muß nach New York. Und niemand aus dem Dorf würde es
wagen, mich mitzunehmen, denn mein Vater versteht da keinen
Spaß.«
»Wie sind Sie überhaupt in meinen Wagen gekommen?«
»Während Sie in der Küche saßen, bin ich heimlich aus dem
Haus. Gott sei Dank war Ihr Wagen nicht abgeschlossen. Ich werde
Ihnen auch nicht zur Last fallen, Herr Holt. Erstens habe ich Geld,
zweitens werde ich in New York erwartet, und drittens brauchen sie
mich nur irgendwo auf der Fifth Avenue abzusetzen.«
»Aber mir paßt das nicht. Mir wäre es lieber, Sie stiegen aus und
gingen zurück.«
»Nie, niemals!« Sie schüttelte den Kopf, daß das rote Haar flog.
»Sie haben doch meine Eltern kennengelernt. Könnten Sie's mit
denen lange aushalten?«
»Doris, steigen Sie aus und gehen Sie zurück.«
»Nein. Bitte, nehmen
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