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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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reagieren?«
    »Bitte, ich kann nicht mehr. Bitte, lassen Sie mich doch in Ruhe.«
    »Du wirst jetzt schlafen«, sagte er, »und morgen bin ich wieder
    da.« Er zwang mit seiner linken Hand ihren Mund auf, ließ sie eine
    weiße Kapsel schlucken, und das Licht um sie her wurde schnell
    noch matter, und bald sah sie überhaupt nichts mehr.
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    Werner darf nichts passieren, dachte sie noch, dann schlief sie
    ein.
    Als sie erwachte, war ihr Bewußtsein ganz klar, und sie fühlte sich
    seltsam leicht und ausgeruht – wie seit langem nicht mehr.
    Sie verschränkte die Hände in ihrem Nacken und ließ ihren Blick
    durchs Zimmer wandern.
    Da entdeckte sie das Gitter vor dem Fenster.
    Und da fing sie an zu zittern. Sie schwang die Beine aus dem Bett,
    sie schwankte ein wenig, aber sie schaffte die wenigen Schritte bis
    zum Fenster.
    Sie schaute in einen Garten hinunter, in dem Menschen, Männer
    und Frauen und sogar Kinder, wie es schien, geruhsam spazieren-
    gingen – aber sie waren alle in hellblaue Kittel gekleidet, die auf
    dem Rücken mit Bändern geschlossen waren, und an den Füßen
    trugen sie Schuhe aus Stoff.
    Irene öffnete das Fenster, doch obwohl diese Menschen über
    Kieswege wandelten, war nicht der geringste Laut ihrer Schritte zu
    hören.
    Plötzlich begann eine alte Frau zu tanzen. Sie hob ihre Arme in
    einem Bogen über den Kopf, wiegte ihre Hüften. Niemand der an-
    deren beachtete sie, bis sie gel end zu lachen und kreischen begann.
    Dann waren plötzlich zwei Pfleger da, die sich zuvor offensichtlich
    im Schatten der Bäume und Sträucher gehalten hatten. Sie nahmen
    die alte Frau zwischen sich und brachten sie ins Haus.
    Irene bedeckte ihre Augen mit den Händen, sie war also in einer
    Nervenheilanstalt. Und wie sie den Dunklen kannte, würde sie hier
    nicht mehr herauskommen – es sei denn, sie beugte sich wieder sei-
    nen Befehlen.
    Eine junge vietnamesische Schwester brachte ihr nach einer Weile
    das Frühstück. Sie zwitscherte: »Guten Morgen, haben Sie gut ge-
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    schlafen? Soll ich Ihnen beim Bad und Frisieren helfen?«
    »Ich will den Arzt sprechen. Den Oberarzt.«
    »Aber gewiß, Madame, gewiß. Der Herr Doktor wird ganz gewiß
    später nach Ihnen schauen.«
    »Nicht später. Jetzt!«
    »Aber der Herr Doktor hat auch andere Patienten zu versorgen.
    Er –«
    Irene fegte mit einer einzigen Handbewegung das Frühstücks-
    tablett vom Tisch.
    Die junge Pflegerin wich zur Tür zurück, sie hatte jetzt beinahe
    runde Augen vor Angst.
    Und dann war schon eine andere, ältere, breitgebaute Schwester
    da.
    Sie sagte: »Nun, nun, wer ist denn hier so unartig?«
    Und sie packte Irene und zog sie zum Bett. Jetzt bemerkte Irene,
    daß daran Lederschlaufen befestigt waren, und damit wurden nun
    ihre Fuß- und Handgelenke an die Bettpfosten gefesselt.
    »Ich will den Arzt sehen«, sagte Irene und zwang sich, ruhig zu
    sprechen. »Ich bin weder krank noch verrückt, und Sie halten mich
    gegen meinen Willen hier fest. Das ist Freiheitsberaubung, das ist
    ungesetzlich.«
    »Beruhigen Sie sich, niemand wird hier gegen seinen Willen fest-
    gehalten. Ihr Bruder selbst hat Sie hier eingeliefert. Es ist zu Ihrem eigenen Guten, das wissen Sie doch selbst.«
    Ein Arzt kam, ein Vietnamese wie die junge Pflegerin.
    »Nun, nun«, sagte auch er, »Sie sollten sich wirklich nicht so er-
    regen, gnädige Frau. Das bessert doch nichts. Sie befinden sich
    nervlich in einem sehr besorgniserregenden Zustand. Das wissen
    Sie doch selbst, nicht wahr?«
    »Ich bin in einem vollkommen normalen Gesundheitszustand,
    und ich werde hier gegen meinen Willen festgehalten. Und dieser
    Mann, der mich hier eingeliefert hat, ist nicht mein Bruder. Er
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    ist –«
    »Frau Blessing, Ihre Antworten zeigen mir, wie verwirrt Sie noch
    sind. Ein paar Tage Ruhe bei uns und die richtige medizinische Be-
    handlung werden Ihnen guttun, so glauben Sie mir doch.«
    »Ich glaube Ihnen überhaupt nichts. Ich glaube nur, daß auch Sie
    aus irgendwelchen Gründen in den Diensten des Mannes stehen,
    der mich zu Ihnen gebracht hat.«
    Der Arzt lächelte das höfliche, ausdruckslose Lächeln des Orien-
    talen. »Ich werde Ihnen nun eine kleine Injektion geben, zur Stär-
    kung Ihrer Nerven, und Sie werden sehen, danach werden Sie sich
    wieder ruhiger fühlen.«
    »Ich bin ruhig«, schrie Irene und bäumte sich auf und warf sich
    hin und her, soweit es ihre Fesseln zuließen.
    Aber sie konnte der Injektion nicht ausweichen.
    Danach sah sie, wie sich das

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