Spuren in der Wüste
Zimmer mit rosigen Muscheln fül te,
die sich öffneten, bis Perlen aus ihnen regneten. Und später kam
ein düsterer Gewittersturm, sie fühlte peitschenden Regen auf ihrer
Haut und eisigen Wind.
Wiederum später füllte sich das Zimmer mit einem bernsteinfar-
benen Licht, und ihr war, als schwebe sie mittendrin, schwerelos.
Das war schön, das war gut, sie fühlte sich wieder wohl. Sie hatte
keine Probleme mehr – die Wahrheit war, sie konnte gar nicht mehr
denken.
Der Dunkle saß wieder an Irenes Bett. Er hatte ihr Rosen mitge-
bracht, die die kleine vietnamesische Helferin in einer Vase ordnete und auf den Tisch stellte.
Irene sagte: »Ich mag keine Rosen, nehmen Sie sie mit hinaus.«
Das Mädchen schaute den Dunklen unsicher und ängstlich an,
aber er nickte schließlich Zustimmung.
Die Pflegerin ging hinaus.
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»Das war ein kleines Friedensangebot«, sagte der Dunkle, »aber
du hast es abgelehnt. Das wird auf den Arzt keinen guten Eindruck
machen.«
»Ich will hier raus.«
»So wie du dich benimmst, kann das noch lange dauern.«
»Man gibt mir hier Drogen, ich weiß es. Ich will das nicht. Ich
will nicht kaputtgemacht werden.«
»Dann komm zur Vernunft und wehre dich nicht länger. Wir ha-
ben Arbeit für dich.«
»Ich werde nie mehr für Sie arbeiten, lieber sterbe ich hier.«
»Ich weiß, du hast seit Tagen alle Nahrung verweigert.«
Plötzlich empfand sie rasenden Hunger und Durst. Aber sie preß-
te nur die Lippen aufeinander.
»Auch das wird dir nichts nützen, sondern nur schaden. Vergiß
nicht, wenn du nicht gehorchst, nehmen wir uns deinen Werner
Holt vor.«
»Nein!«
»Es ist sehr leicht, einen Menschen heroinsüchtig zu machen,
weißt du. Man schnappt ihn sich, bringt ihn an einen ruhigen Ort,
gibt ihm ein paar Shots, und schon ist es passiert.«
Sie schloß die Augen.
»Glaubst du etwa, daß wir dazu nicht fähig sind?«
»Doch«, sagte sie, »ich halte Sie zu allem fähig. Also gut. Was ist
mein nächster Auftrag?«
»Du fliegst nach London, schließt dich dort einer Pilgergruppe
an. Du wolltest doch immer wieder mal nach Jerusalem zurück,
nicht wahr?«
Sie schauderte.
»In der Pilgergruppe wirst du in keiner Weise auffallen, und Pilger
werden auch von allen behördlichen Stellen, zum Beispiel vom
Zoll, bevorzugt behandelt. In Jerusalem suchst du das Geschäft an
der Via Dolorosa auf, in dem Bibeln und Rosenkränze verkauft wer-
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den. Dort wirst du ein Paket erhalten, nicht sehr groß, es paßt leicht in eine Reisetasche. Es wird in festliches Papier verpackt sein und
die Umrisse einer Bibel haben. Deine Tasche läßt du in dem Bus,
der die Pilger nach Nazareth bringen wird. Du selbst schützt plötz-
liches Unwohlsein vor, fährst mit einem Taxi nach Tel Aviv und
fliegst mit der nächsten Maschine nach London zurück.«
»Was wird in dem Paket sein?«
»Das geht dich nichts an.«
»Ich muß es wissen. Sonst tue ich es nicht. In Zukunft will ich
wenigstens wissen, an welchen Verbrechen ihr mich beteiligt.«
Er sah sie nachdenklich an. »Keine schlechte Idee.« Er wiegte den
Kopf. »Damit lieferst du dich uns natürlich ganz aus.«
»Ich glaube, das ist ganz allein meine Sache. Aber ich muß die
Gewißheit haben, daß weder Werner Holt noch seinen Eltern
oder meiner Familie etwas Böses geschieht.«
»Solange du parierst, geschieht ihnen nichts.«
»Also, was ist in dem Paket?«
»Aufzeichnungen von militärischen Einrichtungen der Israelis.«
»Keine Bombe?«
»Keine Bombe.«
»Ist das die Wahrheit?«
»Es ist die Wahrheit.«
»Also gut, wann reise ich?«
»Morgen.«
»Unter welchem Namen?«
»Anna Gordon.«
Am nächsten Tag brachte der Dunkle ihr die Tracht einer eng-
lischen Nurse. Er gab ihr das nötige Geld und den falschen Paß auf
den Namen Anna Gordon.
Der Flug nach London verlief ereignislos. Aber Irene hatte dennoch
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das dumpfe Gefühl, ständig beobachtet zu werden.
Sie verließ gar nicht erst den Flughafen, in der Transithalle schloß sie sich gleich der Pilgergruppe an, die zumeist aus englischen Kran-kenschwestern bestand, geführt von zwei anglikanischen Priestern.
Wie schon in Köln-Wahn passierte Irene mit dem gefälschten Paß
auch in London, bei der Zwischenlandung in Athen und in Tel
Aviv unangefochten die Paßkontrollen.
Die erste Nacht in Israel verbrachte die Pilgergruppe in einem
einfachen sauberen Hotel in Jaffa.
Am nächsten Morgen brachte der Bus sie nach Jerusalem. Sie be-
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