Spuren in der Wüste
bei sich trug und gab es ihr; die Schei-
ne raschelten in ihren knochigen Händen.
»Warum tun Sie das?« fragte sie.
»Kaufen Sie sich neue Kleider, essen Sie ein paar anständige
Mahlzeiten.«
»Sie sind ein Dummkopf«, sagte sie lächelnd, »wie sollte ich in
neuen Kleidern betteln können? Was aber soll ich für Sie tun?«
Er lachte ein bißchen verlegen.
»Der jungen Frau, die neu im Kloster ist, diesen kleinen Brief von
mir geben«, bat er dann.
Er riß eine Seite aus seinem Notizbuch, schrieb hastig darauf: »Ich
warte auf Dich, Irene. Ich kann ohne Dich nicht leben, Werner.«
Dann faltete er den Zettel zusammen und gab ihn der Bettlerin.
»Sie sind ein Dummkopf«, sagte diese noch einmal lächelnd, als
habe sie gelesen, was er geschrieben hatte, »Sie wissen noch nicht,
daß man niemanden zur Liebe zwingen kann. Doch ich will Ihre
Botschaft überbringen.«
Dann stand sie ohne Gruß auf und verschwand rasch in der Tou-
ristenmenge, die sich unablässig durch die Gassen der Altstadt Je-
rusalems schob.
Irene hatte mit der Oberin gesprochen und ihr erklärt, daß sie Wer-
ner Holt noch einmal sehen müsse, um ihn davon zu überzeugen,
daß er sie vergessen müsse, denn sie hatte sich entschlossen, im
Kloster zu bleiben.
Die Oberin hatte leise genickt und gesagt: »Gehen Sie nur, Sie
müssen tun, was Sie für richtig halten.«
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»Aber ich komme zurück, ich verspreche es.«
»Wenn Sie kommen, wird es mich freuen, denn Sie wissen, welche
Schuld auf Ihnen lastet, und nur durch den Dienst am Herrn kön-
nen Sie sich davon befreien. Wenn Sie nicht zurückkehren, werden
meine Gebete Sie begleiten.«
Es dunkelte schon, aber in den Basaren brannten messingne und
kupferne Lampen, und verstärkt patrouillierte Polizei.
Irene huschte in einen der kleinen Läden, in denen Stoffe und
Gewänder verkauft wurden.
Hier in einem kleinen Hinterzimmer legte sie ihr weißes Habit
ab; es war die einzige Kleidung, die sie noch besaß, denn da sie im
Kloster bleiben wollte, hatte sie ihre Kleider verschenkt.
Eine junge Araberin brachte ihr einen Kaftan in dunkler Seide,
wie ihn die Touristinnen gern als Abendkleider kauften.
Irene bat das Mädchen, ihr weißes Gewand und die Haube auf-
zuheben.
Das Mädchen betrachtete Irene mit neugierigen Augen, aber es
stellte keine Fragen.
»Du mußt den Kaftan bezahlen«, sagte es nur mit weichen Kehl-
lauten.
»Ich lasse dir doch meine Kleider da als Pfand, ich komme be-
stimmt zurück.«
»Wenn Allah es will«, sagte das Mädchen und zuckte die Schul-
tern.
Irene zog die Kapuze des Kaftans über ihr Haar, dann huschte sie
aus dem kleinen Laden.
Sie würde zum Jaffa-Tor gehen und dort ein Taxi zum King-Da-
vid-Hotel nehmen. Sie hatte zwar kein Geld, aber dort würde Wer-
ner auf sie warten und das Taxi bezahlen können.
In ihrer Hand hielt sie, zu einem winzigen Ball zerknüllt, seine
Nachricht, die ihr die Bettlerin zugesteckt hatte. Sie war wie ein
Pfand, wie ein Glücksbringer.
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Sie mußte Werner die Wahrheit sagen, und dann würde sie frei
sein. Für immer frei von dieser Welt.
Sie wollte ins Kloster zurückkehren, um nicht noch mehr Schuld
auf sich zu laden.
Sie erreichte das Jaffa-Tor, ein Taxi löste sich aus der dort wartenden Reihe, blendete die Scheinwerfer kurz auf. Es hielt mit quiet-
schenden Bremsen vor ihr. Irene stieg arglos ein.
»Zum King-David-Hotel«, sagte sie.
Dann langte ein Arm nach vorn, eine Hand mit einem äther-
getränkten Wattebausch preßte sich ihr auf Mund und Nase, und
das letzte, was sie denken konnte, war: Wie dumm ich doch war,
wie dumm.
Werner wartete die ganze Nacht und den folgenden Tag in seinem
Hotelzimmer. Er hatte den Empfangschefs und Portiers Irene be-
schrieben und seine Bitte, sie unverzüglich zu ihm zu führen, mit
hohen Trinkgeldern bekräftigt.
Aber Irene kam nicht.
Er ließ noch eine Nacht verstreichen, dann fand er sich vor dem
Tor des Klosters in der Via Dolorosa ein.
Es gab nur einen altmodischen Türklopfer, und er ließ ihn einige
Male gegen das mit dicken Eisennägeln beschlagene Tor fallen.
Eine Nonne öffnete eine kleine Seitentür. »Was wünschen Sie?«
fragte sie, ohne ihn auch nur mit einem Blick anzuschauen.
Er bat, die Oberin sprechen zu dürfen. Und er fügte hinzu: »Es
ist wirklich lebenswichtig.«
Die Nonne nahm seine Visitenkarte entgegen und hieß ihn vor
der kleinen Pforte, die sie sorgfältig wieder schloß, zu warten.
Schließlich
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