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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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Magen redet es sich leichter.«
    Als Vorspeise vertilgte er eine doppelte Portion in Öl und winzi-
    gen Zwiebeln gesottenen St.-Peter-Fisch aus dem See Genezareth.
    Danach labte er sich an einem ganzen Chateaubriand, das eigent-
    lich für zwei Personen gedacht war; mit Beilagen, versteht sich.
    Und als Sorbett serviert wurde, hieß er den Ober gleich, die gan-
    ze große Silberkugel auf dem Tisch zu belassen.
    Dann zündete er sich eine Havanna an, die er sorgfältig nach Far-
    be und Geruch ausgewählt hatte, und meinte: »Du bist ein wahrer
    Freund, Werner, du versteht es, einen Gast zu bewirten.«
    »Ali, jetzt spann mich nicht länger auf die Folter!«
    Ali Mohammed lächelte und wölbte die Lippen vor.
    »Deine Information war richtig. Eine schöne Frau, wie du sie be-
    schrieben hast, befindet sich in Jerusalem; nur wird es dir unmög-
    lich sein, an sie heranzukommen. Denn sie befindet sich im Kloster
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    der weißen Schwestern.«
    »Im Kloster?«
    »An der Via Dolorosa. Noch niemals hat dieses Kloster ein Mann
    betreten.«
    »Du meinst, Irene ist Nonne geworden?«
    »Zumindest trägt sie das Ordenskleid.«
    »Aber das ist doch Wahnsinn«, sagte Werner. »Ich kann es ein-
    fach nicht glauben.«
    »Habe ich dich jemals belogen, mein Freund?« fragte Ali ge-
    kränkt.
    »Nein, nein«, sagte Werner, »natürlich nicht. Aber ich würde alles
    andere eher glauben als das. Irene im Kloster? Wie kann ich sie
    sehen, wie mit ihr sprechen?«
    »Da es ja der Brauch dieses Ordens ist, mag es möglich sein, daß
    sie mit den anderen Schwestern zur Messe in die Grabeskirche geht.
    Da mußt du dein Glück versuchen.« Ali Mohammeds Augen zogen
    sich plötzlich zusammen, bekamen einen undeutbaren Ausdruck.
    »Aber gib auf dich acht, mein Freund. Gib auf dich acht!«
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    enn man sich ein Kloster vorstellt, so denkt man meist an
    Wenge Zellen, an dunkle Höfe, an inbrünstige oder auch fana-
    tische Gebete. Man denkt an eine karge Liegestatt, an karges Essen
    und daß die Freuden des Lebens gewiß nicht durch die dicken Klos-
    termauern dringen. Aber so ist es nicht, mein Kind«, sagte die Obe-
    rin. »Wenn Sie erst einmal ausgeruht sind, werden Sie sehen, daß
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    unser Haus von Heiterkeit und Freude erfüllt ist. Denn wir alle
    sind freiwil ig hier, und unser Dienst am Herrn besteht gewiß nicht
    aus Jammern und Klagen. Unser Tun ist einfach, wir spenden Men-
    schen Hilfe, Hilfe geistiger, aber auch materieller Art. Und wir le-
    ben in einer geistigen Freiheit, die in dem, was man das normale
    Leben nennt, mehr und mehr verkümmert. Ich hoffe, Sie werden
    sich hier wohl fühlen, denn Sie sind uns von Herzen wil kommen.«
    Ruhe und Frieden, die Irene schon in dem dunklen Hauseingang
    empfunden hatte, als sie dem koptischen Mönch das Sprengstoff-
    päckchen übergab, hielten an.
    »Ich danke Ihnen, daß ich hier sein und viel eicht einige Zeit blei-
    ben darf.«
    »Wir werden Sie zu nichts zwingen. Sie können an unseren An-
    dachten und Gebeten und unseren täglichen Pflichten teilnehmen,
    aber tun Sie es aus freiem Herzen. Viel eicht werden sie finden, daß Ihr Hierbleiben die Antwort auf viele Fragen ist, die Sie sich in den letzten Jahren stellen mußten.«
    »Danke«, sagte Irene leise.
    »Zu Ihrer Sicherheit muß ich Sie bitten, unser Ordenskleid zu tra-
    gen.«
    Irene nickte.
    »Darf ich noch einen Wunsch äußern?«
    »Gewiß, meine Schwester.«
    »Es gibt Menschen in Europa und in Amerika, um die ich mich
    sorge, denn man hat mir gedroht, ihnen Schlimmes anzutun, wenn
    ich nicht mehr für den – für diesen Mann, dessen Namen ich nicht
    kenne, und seine Organisation arbeite. Gibt es eine Möglichkeit,
    diese Menschen, die ich liebe, zu schützen?«
    Die Oberin lächelte leicht. Sie entnahm der mittleren Schublade
    ihres schmucklosen Schreibtisches einen Block und einen Kugel-
    schreiber. »Bitte, schreiben Sie mir die Adressen auf, und ich werde sie weiterleiten.«
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    Und Irene schrieb die Adresse von Werner Holt und die seiner
    und ihrer Eltern auf.
    »Ich werde noch heute abend das Nötige tun«, versprach die
    Oberin.
    Am Morgen, nach den Frühgebeten und dem Frühstück, das in ei-
    nem großen, hellgetünchten Saal eingenommen wurde – der Tisch
    war mit Feldblumen geschmückt, die im Kloster gezogen und ge-
    bunden worden waren, und es gab Tee und Brot und Honig und
    frischen Orangensaft –, bat die Oberin Irene noch einmal zu sich
    in ihre kleine Bibliothek. Nun bemerkte Irene, daß sich in den

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