Spuren in der Wüste
Lotteriezeitung vor sich hin.
Werner bat ihn, für ihn eine Telefonverbindung mit Berlin her-
zustellen.
Dann stand er in einer der Telefonkabinen und hörte Mutts Stim-
me.
»Wernerchen! Wie geht es dir?«
»Gut, Mutt«, sagte er, »sehr gut.« Und nach einem tiefen Atem-
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holen: »Ich habe Irene gefunden. Wir kommen heim. Und sag Va-
ter, er soll kein einziges Spielzeug mehr an irgendeinen Döskopp
verkaufen.«
»Paß auf dich auf«, sagte Mutt. »Und jetzt geh wieder ins Bett.
Der Mensch braucht seinen ordentlichen Acht-Stunden-Schlaf.«
Werner schlief traumlos und fest, er hielt Irene in seinen Armen.
Irene war heiter beim Frühstück, das sie auf der Hotelterrasse ein-
nahmen.
Sie war so schön, daß Werner kaum wagte, sie anzuschauen.
Sie sagte lächelnd: »Du mußt mir ein Kleid kaufen und Schuhe.
Und ich muß diesen Kaftan in den Basar zurückbringen.«
»Wer war der Araber, mit dem man dich im Basar gesehen hat?«
fragte er in behutsamem Ton.
In Irenes Gesicht veränderte sich nichts.
»Ein alter Freund. Er – als ich schon einmal hier war, vor vielen
Jahren, hat er mir Jerusalem gezeigt.«
Werner gab sich damit zufrieden.
Er hätte sich an diesem Morgen mit allem zufriedengegeben, was
Irene sagte, auch mit Lügen; er war so glücklich.
In einer Boutique, nahe dem King-David-Hotel, kauften sie alles,
was eine schöne junge Frau braucht, um elegant zu sein.
Irene war wie ein Kind in ihrer Freude.
Ihre Augen leuchteten.
Dann nahm Werner sie mit zu seinem Freund im Basar der Alt-
stadt, zu Ali Mohammed.
Ali kredenzte ihnen Tee, er schenkte Irene einen kostbaren Bro-
kat aus Damaskus in blassem Frühlingsgrün.
Aber Ali Mohammeds Augen tanzten nicht wie sonst, sie wirkten
wie stumpfe schwarze Steine.
Sie brachten Irenes Seidenkaftan in den kleinen Laden zurück, wo
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das junge Mädchen mit der kehligen Stimme ihnen die weiße Non-
nentracht übergab.
Sie trugen das Gewand zum Kloster in der Via Dolorosa, über-
gaben es der Schwester Pförtnerin.
Mittags aßen sie in einem kleinen arabischen Restaurant, dessen
Besitzer ihnen eigenhändig die Leckerbissen seiner Küche servierte:
Schnipsel zarten gebackenen Lamms, mit Safran gewürzte Reisbäll-
chen, in kleinen Portionen mehr als ein Dutzend den Gaumen rei-
zender Salate.
Irene und Werner hielten einander bei der Hand, wie es Kinder
tun.
Sie staunten über die Vielfalt, die sich ihnen in der alten Stadt
Jerusalem bot – die Vielfalt der Menschen, der Gerüche, der Far-
ben, der Stimmen.
Ich bin glücklich, dachte Werner.
»Bist du glücklich?« fragte er.
»Ich bin glücklich«, sagte Irene.
Und dann fiel es ihm plötzlich wieder ein, als ein Zeitungsjunge
sie bedrängte, die Abendausgabe zu kaufen:
Er hatte einen Auftrag für seine Redaktion in Hamburg übernom-
men und bisher nur zur Hälfte ausgeführt.
Er nahm Irene mit in die Redaktion der ›Jerusalem Post‹.
Zwi Ben Scheffer war nicht mehr da, aber er hatte Nachricht hin-
terlassen, daß Werner das Archiv benutzen könnte.
»Um was geht es denn?« fragte Irene.
»Wir machen eine Reisebeilage für diverse Zeitungen«, antwortete
Werner nur.
Sie saß geduldig neben ihm, während er die alten Ausgaben durch-
sah, sich Notizen machte über den Unfall des amerikanischen Sek-
tenpriesters Jim Fletcher und seiner jungen Frau, die sich vor sechs Jahren in der Wüste, nicht einmal dreißig Kilometer von Jerusalem
entfernt, verirrt hatten – eine Warnung für leichtsinnige Touristen.
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»Langweilst du dich nicht?« fragte Werner. Irene schüttelte lä-
chelnd den Kopf, schaute zum Fenster hin.
»Ist dir jemals aufgefallen, wie tief die Wolken über Jerusalem zie-
hen? Wie Luftschiffe, die es abschützen.«
»Morgen fahren wir in die Wüste«, sagte er.
Ihre Lider senkten sich über die Augen.
»Warst du schon mal in der Wüste?«
Sie bewegte den Kopf; er wußte nicht, ob es ein Nicken oder
ein Kopfschütteln war.
Werner schob seine Notizen zusammen, faltete sie, steckte sie in
seine Jackentasche.
»Fertig!«
Sie bummelten durch das neue Jerusalem; aus geöffneten Fens-
tern strömte der Duft von Abendbrot, der sich mit dem Geruch in
der Abendsonne harzender Bäume mischte.
Der Himmel war hoch und hell, eine Kuppel aus blauem Emaille.
»Ich liebe dich, Irene«, sagte Werner.
»Ich muß in ein paar Tagen in Hamburg sein«, sagte sie.
Er fragte nicht, warum.
Er wollte nichts durch Fragen zerstören.
Über den Empfang des
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