Spuren in der Wüste
wurde er zur Oberin geführt.
Werner sagte ihr mit einfachen Worten, daß er Frau Blessing
noch einmal sprechen müsse.
91
»Warum?« fragte die Oberin ebenso geradeheraus.
»Weil ich nicht begreifen kann, daß sie mich verlassen hat.«
»Aber Sie kannten sich nur wenige Stunden?«
»Können Stunden nicht wie Jahre sein?« fragte er.
»Wir zwingen niemanden, zu uns zu kommen, und niemanden,
bei uns zu bleiben. Wir gewähren Hilfesuchenden eine Heimat.
Aber wir gestatten dann keine Einmischung von außen mehr.«
»Ich bitte Sie, haben Sie Mitleid. Ich will Frau Blessing nicht ge-
gen ihren Wil en von hier fortführen, ich möchte sie nur noch ein-
mal sehen, noch einmal sprechen, auch wenn sie mich dann für
immer fortschickt.«
»Selbst wenn ich es wol te, könnte ich Ihrer Bitte nicht nachkom-
men, denn unsere Schwester Irene ist nicht mehr hier. Sie verließ
uns vorgestern nachmittag mit der Absicht, Sie aufzusuchen, Herr
Holt.«
Plötzlich hatte er eine panische Angst um Irene.
»Dann muß ihr etwas passiert sein«, stieß er hervor. »Aber wenn
sie hierher zurückkehrt, würden Sie es mich dann wissen lassen?«
»Das darf ich nicht«, sagte die Oberin, »das verstößt gegen die
Gebote, die wir uns selbst auferlegt haben. Aber verzagen Sie nicht, wir alle sind in Gottes Hand.«
Vor dem Kloster traf Werner wieder auf die alte Bettlerin. Er bat
sie, ihn wissen zu lassen, wenn Irene zurückkehrte, und sie ver-
sprach es.
»Sie waren gut zu mir«, sagte sie, »wenn ich kann, werde ich
Ihnen helfen.«
Danach suchte Werner Ali Mohammed in seinem kleinen An-
denkenladen auf. Und er bat auch Ali um seine Hilfe.
Der große kräftige Mann mit den flinken Augen, denen im Basar
so leicht nichts entging, versprach Helfer auszusenden, die nach
92
Irene fahnden sollten.
Und wieder blieb Werner nichts anderes zu tun, als im King-Da-
vid-Hotel auf Irene zu warten.
Heller Lichtschein brannte durch ihre Lider, als Irene zu sich kam.
Sie saß auf einem Stuhl, und man hatte sie daran festgebunden,
damit sie nicht herunterfallen könnte, während sie noch bewußtlos
war.
»Das Licht«, flüsterte sie, »bitte, nehmt das Licht weg.« Und dann:
»Wasser, bitte Wasser«, denn der Äther hatte ihr Mund und Kehle
ausgetrocknet.
»Du bekommst Wasser«, sagte die Stimme des Mannes, dem sie
seit sechs Jahren immer wieder ausgeliefert gewesen war, für den sie Kurierdienste gemacht hatte in so viele Hauptstädte der Welt.
Sie hatte die weißen oder braunen Umschläge, die sie beförderte,
nie geöffnet, denn sie fürchtete zu erfahren, was darin war.
Das Licht wurde schwächer, sie konnte die Augen öffnen.
Der Mann saß im Schatten, wie stets zuvor konnte sie auch jetzt
sein Gesicht nicht erkennen.
Ein junger Araber, fast noch ein Junge, reichte ihr einen Becher
mit Wasser.
Sie trank durstig, dann gab sie den leeren Becher zurück.
Der Junge band sie vom Stuhl los.
»Du wolltest uns entkommen, eh?« fragte der hochgewachsene
Mann, den sie für einen Palästinenser hielt. »Aber es ist dir wieder nicht gelungen. Die weißen Schwestern hätten dich uns nicht ausgeliefert, aber du hast es selbst getan. Weil du zu dem deutschen
Journalisten wolltest.«
»Woher wissen Sie das?«
»Wir wissen alles«, sagte er einfach. »Warum machst du dir dein
Leben so schwer? Du könntest es doch ganz leicht haben. Wie bis-
93
her reisen, in den besten Hotels wohnen, dich elegant kleiden. Und
wir hätten nicht einmal etwas dagegen, wenn du ein Verhältnis mit
diesem Werner Holt unterhieltest. Nur bist du zu wertvoll für uns,
als daß wir ganz auf dich verzichten könnten.«
»Sechs Jahre habe ich für Sie Botendienste gemacht, ist das nicht
genug?«
»Als Sühne für das, was du vor sechs Jahren getan hast? Sag doch
selbst, das reicht nicht aus. Ein ganzes Leben reicht da nicht aus.«
»Ich möchte sterben«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte er, »aber das wäre zu einfach. Nein, meine Lie-
be, du wirst wieder für uns arbeiten.«
»Das letztemal sollte ich eine Bombe befördern. Und dabei hat-
ten Sie versichert, daß in dem Päckchen keine Bombe sein werde.«
Er schwieg.
»Was war in den anderen Umschlägen? Rauschgift? Oder Geld für
Rauschgift?«
Er lachte leise. »Hältst du mich für einen Narren? – Du dienst so-
gar indirekt einer guten Sache. Du hältst Menschen für uns am Le-
ben, die sonst verhungern müßten oder zu Kriminellen würden.
Und liegt dir nicht daran,
Weitere Kostenlose Bücher