Spuren in der Wüste
Abendschatten, kein Vogellaut war zu hören, kaum ein
Windhauch zu spüren.
Irene weinte nicht mehr.
Sie saßen im Wagen und rauchten.
»Ich fürchte mich vor der Einsamkeit«, sagte Irene.
»Du wirst nie mehr allein sein«, versprach er. »Hast du deswegen
geweint?«
Irene nickte.
Er fragte: »Du warst nicht glücklich in deiner ersten Ehe?«
»Nein.«
»Dann vergiß es. Es ist ja vorbei.«
Aber konnte man so leicht vergessen? Hatte er selbst vergessen
können? War die Erinnerung nicht lebendig geblieben über all die
Jahre hinweg, ja sogar über die guten, einfachen Jahre mit Inge, der burschikosen, immer heiteren, nie deprimierten Inge? Hatte er Silvana vergessen können?
»Du brauchst dich vor nichts zu fürchten, Irene«, sagte er. »Und
was immer dich auch bedrückt, du kannst mir alles sagen.«
Er zog sie an sich, er küßte sie auf die Augen und auf den Mund.
»Wir fahren zurück. Es war ein Blödsinn, überhaupt hier heraus-
zukommen. Was ich an Fakten für die Reportage brauche, habe ich
ja.«
Sie fuhren nach Jerusalem zurück.
Für den nächsten Tag buchte Werner ihren Flug nach Berlin, via
Frankfurt.
Die junge Frau hinter dem Schalter der El Al lächelte ihn an.
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»Hat Ihnen Israel gefallen?«
»Und wie!« Er lachte, war mit einemmal wieder übermütig,
glücklich.
In Jerusalem hatte er ja Irene wiedergefunden!
Er wußte, daß sie alles für ihn bedeutete, was er sich jemals
erträumt hatte.
Dachte auch, wenn ich das jemand erzähle, heute, in unserer Zeit,
der hält mich für total verrückt.
Aber er wollte es niemandem erzählen. Wozu auch?
An diesem letzten Abend in Israel lud Werner nochmals Zwi Ben
Scheffer und seine Frau zum Abendessen ein und natürlich Ali Mo-
hammed.
Sie speisten im großen Saal des King-David-Hotels; heute abend
war alles auf die klassische französische Küche abgestellt.
Die Ben Scheffers waren laut und lustig wie immer und bewun-
derten Irene ungeniert. Ali Mohammed widmete sich den Genüssen
der Tafel mit einer an Anbetung grenzenden Ernsthaftigkeit. Er
pries das Schicksal, das seinen guten und klugen Freund Werner
mit der schönsten aller Frauen zusammengeführt hatte.
»Sollen wir uns verloben, jetzt und hier?« flüsterte Werner Irene
zu.
Sie schüttelte den Kopf. »Zu Hause, bei deinen Eltern«, sagte sie.
Und er liebte sie dafür noch mehr.
Nach dem Diner nahmen sie den Kaffee und den Digestif in der
Halle.
Irene ging dann schon in ihr Zimmer hinauf, während Werner die
Gäste vor dem Hotel verabschiedete.
Die Luft schmeckte nach Brand, weil der Wind aus der Wüste
kam, die täglich unter der Sonne glutet.
»Das ist der Chamsin«, sagte Zwi Ben Scheffer. »Macht einen
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ganz verrückt. – Mach's gut, alter Junge, komm bald mal wieder«,
und damit legte er seinen Arm um die schon ein bißchen füllige
Taille seiner Frau, und sie gingen zu ihrem Auto.
Ali Mohammed hatte schmale Augen, während er in die Nacht
hinaussah, er schlug sich einen Zipfel seines Turbans über den
Mund.
»Achte auf dich, mein Freund«, sagte er.
»Du auch, Ali.«
»Du weißt, daß ich es anders meine, achte auf deine Schritte. Nur
der Vorsichtige gerät nicht in Gefahr.«
»Du sprichst in Rätseln.«
»Manchmal schauen meine Gedanken ein bißchen weiter als mei-
ne Augen.«
»Du sprichst wahrhaftig in Rätseln, mein Freund«, wiederholte
Werner.
»Vorsicht wird dir nicht schaden«, sagte Ali. Ein sprödes Lächeln
legte sich um seinen Mund, das nicht zu seinem sonst so flinken
Mienenspiel paßte.
Er drückte Werners Hand mit seinen beiden Händen, umarmte
ihn. Dann ging er schnell davon zu einem der Taxis.
Irene schlief schon, als Werner das Hotelzimmer betrat. Er weckte
sie nicht.
Sogar dazu war er zu glücklich.
Weil sie einfach da war.
Und mit diesem Gedanken schlief er ein.
Am nächsten Tag flogen sie nach Deutschland zurück, über
Frankfurt nach Berlin.
Wenn Werner ehrlich zu sich gewesen wäre, dann hätte er zugeben
müssen, daß er eine Frau liebte, von der er noch immer nicht das
geringste wußte.
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Und wenn er darüber nachgedacht hätte, dann hätte er sich sagen
müssen, daß dies eine ziemlich sonderbare, wenn nicht gar unmög-
liche Basis für eine Ehe war.
Aber er dachte nicht nach, und er fragte Irene nichts, weil er sie
liebte.
Er wollte sie nicht verlieren, und deshalb riskierte er nichts.
Sie verbrachten fünf herrliche Tage bei seinen Eltern, die Irene
aufnahmen, als sei sie
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