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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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komplett.«
    Das Schnitzen der winzigen Figuren war Erwins ganzer Stolz, und
    Mutt kleidete sie dann an, auch wenn sie angeblich verächtlich sag-
    te: »Da siehst du, wie es geht, Werner. Auf seine alten Tage wird
    man kindisch. Sogar ich. Läßt der dumme Kopp mich doch Pup-
    penkleidchen nähen.«
    »Die Burg ist wirklich was zum Träumen.« Und Werner dachte an
    Irene Blessing; wenn man sie in mittelalterliche Gewänder steckte,
    würde sie ebenso liebenswert und zauberhaft aussehen wie heute.
    »Denkst du an jemanden, dem die Burg Freude machen würde?«
    fragte sein Vater, als sie durch den Garten zum Haus zurückgingen.
    »Mir«, sagte Werner.
    »Ich frag' mich manchmal, was aus unserem Haus und dem schö-
    nen Garten wird, wenn wir mal nicht mehr sind.«
    »Ach, Vater, ihr werdet beide hundert.«
    »Trotzdem wär's schön zu wissen, was später mal aus allem wird.«
    »Ihr habt mich ja auch erst ziemlich spät bekommen«, sagte
    Werner.
    »Das hatte seinen Grund, damals war Krieg. Wenn wir wenigstens
    deine Silvana gekannt hätten. – Und jetzt, die Inge bringst du ja
    auch nie mit…«
    »Laß uns von was anderem reden, Vater.«
    »Natürlich, Junge. Sollst dich ja wohl fühlen zu Hause.«
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    Aber Erwin Holts Lächeln gelang nicht ganz, und Werner ver-
    stand es, schließlich war er der einzige Sohn, und seine Eltern sehnten sich nach Enkeln.
    Während Mutt mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt
    war, das Werner mindestens ein Kilo Zugewicht bescheren würde,
    und sein Vater einem Bericht über die Fußball-Weltmeisterschaft im
    Radio lauschte – denn der Flimmerkasten, der stand in Mutts Näh-
    stube, Erwin hielt sich nicht damit auf –, rief Werner im Kempinski
    an.
    »Frau Blessing bitte.«
    »Ja?« Ihre Stimme klang leise und ganz deutlich zögernd.
    Er schluckte. »Hier Holt«, sagte er dann forsch. »Ich dachte, wenn
    Sie Zeit haben, könnten wir einen Drink zusammen nehmen, nach
    neun.«
    »Werner Holt?« fragte sie.
    »Ja. Sie erinnern sich doch?«
    Sie blieb still.
    »Ich meine, wir haben uns heute auf dem Flug von Hamburg
    kennengelernt.«
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Bitte, ich würde Sie so gern wiedersehen.«
    Wieder war es still. Aber dann sagte sie: »Ich auch.«
    Ihm wurde ganz heiß, und plötzlich hatte er ein Bild vor Augen:
    lachende, jubelnde Kinder im Garten, mit wehendem, kastanien-
    braunem Haar und andere mit seinem blonden, und er sagte, heiser
    vor Aufregung: »Um halb zehn?«
    »Um halb zehn«, wiederholte Irene, dann legte sie auf.
    Und Werner wußte, daß er am Wendepunkt seines Lebens stand.
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    erner war bereits um zwanzig nach neun vor dem Kempinski,
    Wund da stand Irene schon und kam schnell zu seinem Wagen,
    noch ehe er aussteigen konnte, glitt neben ihn, und er hatte mit
    einemmal beinahe Angst, sie anzuschauen, und wußte sekunden-
    lang überhaupt nichts zu sagen.
    Da lachte sie leise, und es klang sehr weich und sehr weiblich,
    und sie sagte: »Zeigen Sie mir Berlin bei Nacht?«
    Er zeigte ihr das Berlin, das er liebte, und in ihren Augen sah er,
    daß sie ihn verstand.
    Er sah die Stadt mit seinen und mit ihren Augen, und es war für
    ihn die herrlichste und lebendigste Stadt der Welt, obwohl sie ge-
    teilt war – durch die Mauer willkürlich in zwei Teile gespalten.
    Irene wollte auch die Mauer sehen. Und er fuhr mit ihr dorthin.
    Sie fröstelte, als sie die Wachttürme sah und das gespenstische
    Scheinwerferlicht, das alles noch trostloser machte, hüben wie drü-
    ben, und Werner legte zum erstenmal den Arm um sie.
    Sie schmiegte sich sekundenlang an ihn, dann sagte sie: »Bitte,
    bring mich zurück.«
    Und obwohl es heute selbstverständlich geworden ist, daß man
    so schnell du zueinander sagt, empfand er es von ihr als eine Aus-
    zeichnung.
    »Laß uns bitte noch irgendwo ein Glas Wein zusammen trinken.«
    Sie schwieg wieder eine Weile. Er hatte sich schon daran ge-
    wöhnt, daß sie immer genau zu überlegen schien, was sie sagte und
    antwortete.
    Dann sagte sie: »Ja, das geht.«
    Und dann saß er ihr in einer Weinstube gegenüber, und das
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    Licht flackerte über das schmale helle Gesicht, Kerzenlicht, und
    ihre Augen hatten jetzt die Farbe des Weins. Sie waren ganz hell.
    »Ich möchte gern wissen, woher du kommst«, sagte er.
    »Ich war – zuletzt in Paris.«
    »Und davor?«
    »In Rom.«
    »Du reist viel?«
    »Ja. Wie du.«
    »Aber du bist keine Journalistin?«
    Sie schüttelte stumm den Kopf.
    Er hatte ihr erzählt, wie alt er war,

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