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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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was er tat und für wen er ar-
    beitete, daß er unverheiratet war und nur eines regelmäßig tat und
    immer gern getan hatte: hier in Berlin seine Eltern besuchen.
    Von Irene wußte er nichts.
    »Ich möchte alles von dir wissen«, sagte er. »Alles.«
    Sie lächelte, aber es war ein mechanisches, ein verkrampftes Lä-
    cheln, das ihre Mundwinkel zucken ließ.
    »Es ist spät geworden, ich muß ins Hotel zurück.«
    »Wartet – wartet dort jemand auf dich?«
    Sie schüttelte stumm den Kopf.
    Aber es war ihm ganz plötzlich und ohne Übergang und ohne
    irgendeine Erklärung, als fürchte sie sich.
    Jemand erwartete sie im Hotel. Oder sie erwartete jemanden.
    Aber er wollte nichts zerstören, deshalb fragte er nicht danach.
    »Darf ich dich morgen sehen?« fragte er.
    Sie blickte ihn ernst und wie suchend an.
    »Ja«, sagte sie dann.
    »Ich freue mich jetzt schon darauf. Weißt du, wenn das Wetter
    hält, könnten wir schwimmen gehen. Bei uns draußen in Grune-
    wald.«
    Und er sah sie schon auf dem schmalen Streifen dunklen Sandes
    am See, sah, wie das Licht, das durch die Bäume fiel, ihr Gesicht
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    und ihre Glieder vergolden würde.
    Ziemlich selten hatte er ein Mädchen gefragt, ob er es küssen
    dürfe; aber nun tat er es, und war doch ein erwachsener Mann und
    sie eine erwachsene Frau.
    Und sie nickte kaum merklich, und sie küßten sich.
    Ihre Lippen waren weich und zärtlich, wie ihre Stimme es sein
    konnte, und er dachte, daß er nie vorher einen solchen Mund ge-
    kannt hatte.
    Das war, als sie schon vor dem Kempinski hielten, im dunklen
    Wagen. Aber ihre Augen waren immer noch so hell wie im Kerzen-
    licht.
    »Bis morgen«, sagte er und half ihr beim Aussteigen.
    »Bis morgen«, sagte sie einfach und schenkte ihm wieder ihr ein-
    faches, so bezauberndes Lächeln.
    Aber als er abfuhr, sah er nicht, wie das Lächeln verschwand. Und
    wie die Züge hart wurden und dunkel, obwohl ihre Haut und die
    Augen hell blieben. Und es war, als verzerre jemand anderes ihren
    Mund, als reiße ihr jemand die Lippen auf zu einem Schrei, der nie
    laut wurde.
    Irene setzte ihre Sonnenbrille auf, wandte sich schnell um und
    betrat das Hotel.
    Sie stolperte einmal; wer es sah, mochte denken: Warum trägt sie
    auch eine Sonnenbrille?
    Aber sie stolperte, weil ihre Augen blind von Tränen waren.
    Irene nahm ihren Schlüssel am Empfang des Hotels entgegen und
    fuhr in den zweiten Stock hinauf. Sie zögerte einen Moment lang
    vor der Tür ihres Zimmers, schloß dann auf.
    Sie blieb auf der Schwelle stehen, lauschend. Sie hörte nicht das
    geringste Geräusch, und als sich ihre Augen an das Dunkel des
    Zimmers gewöhnt hatten, konnte sie auch nur die ihr schon ver-
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    trauten Formen der Möbel ausmachen; im Alkoven das breite, mit
    einer maisfarbenen Decke überworfene Bett, die Gobelinsessel und
    die schöne alte Kommode aus Birnbaumholz. Durch die geschlos-
    senen Vorhänge zuckten Leuchtreklamen des Ku'damms wie Irrlich-
    ter.
    Irene trat schnell ein, schloß die Tür hinter sich ab.
    Im gleichen Moment öffnete sich die Badezimmertür, und ein
    großer hagerer Mann stand dort; nur die Umrisse einer Gestalt im
    dunklen Anzug, ein heller Schimmer auf dem schwarzen Haar, das
    Gesicht nicht zu erkennen. Noch nie hatte Irene sein Gesicht ge-
    sehen. Sie kannte auch seinen Namen nicht und nannte ihn bei
    sich den Dunklen.
    »Du kommst spät«, sagte er.
    Sie blieb stehen, wo sie war; ihre Schultern waren herabgesunken;
    für den Mann bot sie ein Bild der Hilflosigkeit, aber vor allem der
    Willenlosigkeit. Sie war ein leichtes Opfer.
    »Wo warst du?«
    »Warum fragen Sie? Sie wissen doch immer alles.« Sie feuchtete
    ihre Lippen an, aber ihre Mundhöhle wurde immer trockener.
    »Der Kerl ist Journalist«, sagte er. »Er reist viel.«
    Sie senkte den Kopf.
    »Wenn du es richtig anfängst, kann er uns von Nutzen sein.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Du wirst ihn dazu bringen.« Seine Stimme war ohne jeden Klang,
    ohne Akzentfärbung, sie war weder hoch noch tief, weder melo-
    disch noch unangenehm. Nie hob sie sich, niemals ließ er irgend-
    ein Gefühl erkennen. »Wo sind die Papiere?«
    »Ich trage sie wie immer bei mir«, sagte Irene.
    »Dann leg sie auf den Tisch.«
    Irene trat vor. Ihre Schultertasche bestand aus zwei separaten Fä-
    chern, die scheinbar mit den Innenwänden aneinander genäht wa-
    ren. Sie drückte auf die untere Hälfte des Silberschlosses, die beiden 13
    Hälften der Tasche klappten auseinander. Irene rührte den

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