Spuren in der Wüste
Wohnraum, zwei Schlaf- und Arbeitszimmer –, die
sie seit zwei Jahren mit Werner teilte.
Tante Bri hatte recht gehabt, damals. Da hatte sie gewarnt: »Zieh
nicht mit ihm zusammen, Inge. Wenn du ihn wirklich willst, ihn
heiraten, Kinder mit ihm haben wil st, dann zieh nicht mit ihm zu-
sammen. Zu schnel gewöhnt ihr euch daran, zu schnell ist der Lack
ab.«
Damals hatte Inge gelacht und Tante Bri, die ihr als Kind Mutter
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und Vater ersetzt hatte, für altmodisch gehalten.
Inges ganzer Bekanntenkreis bestand doch hauptsächlich aus jun-
gen Paaren, die so zusammen lebten, weil sie sich liebten, aber kei-
ne endgültige Bindung wollten. Sie glaubten, eine Ehe werde sie
lähmen, einengen; sie wollten frei bleiben.
»Hat sich was mit Freiheit«, murmelte Inge. »Verdammte Frei-
heit.«
Sie wollte die Pille nicht mehr nehmen; sie wollte statt zwei
Schlafzimmern eines haben; sie wollte wissen, wohin sie gehörte; sie wol te Kinder haben. Jawohl, Kinder von Werner. In einer richtigen
Familie, mit Sonntagsspaziergang und Trödeln über den Schulauf-
gaben, und Masern und Mumps, weil sie dazugehörten, und auch
mit dem Streit, der nicht ausbleibt, wenn die Kinder ihren Willen
haben wollen.
Was nützten ihr die Freiheit, der eigene Wagen, das eigene Ge-
halt, die eigenen Ferien – ohne Werner? Sie wollte nichts anderes,
als endlich wissen, daß Werner und sie für immer zueinander ge-
hörten, durch dick und dünn miteinander gehen würden, wie es
früher hieß –, und schließlich miteinander alt werden wollten.
Vor einem halben Jahr hatten sie deswegen einen wilden Krach
gehabt. Inge hatte zum ersten- und zum letztenmal klipp und klar
gesagt, was sie sich wünschte, und Werner war explodiert, hatte sie
egoistisch und verbohrt und altmodisch genannt und war mitten in
der Nacht abgehauen und erst nach vier Wochen nach Hause zu-
rückgekehrt. Okay, da war die Reportage über die Kämpfe im Liba-
non dazwischengekommen.
Werner war zerknirscht gewesen, hatte sich entschuldigt. Sie hat-
ten Versöhnung mit zwei Flaschen Champagner gefeiert, und am
nächsten Tag hatte er ihr einen wunderschönen Saphierring ge-
schenkt. Bloß war's kein Verlobungsring. Und seither sprachen sie
nicht mehr von Heirat.
Und heute abend hatte Inge ein Tabu gebrochen. Nicht, daß
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Werner es von ihr verlangt hätte, sie hatte es sich selbst gesetzt:
Wenn Werner alle zwei Monate zu seinen Eltern flog, rief sie ihn
nicht an.
Aber heute abend hatte sie es getan.
Inge wußte, daß er normalerweise den ersten Abend immer mit
seinen Eltern verbrachte und daß er und sein Vater dann beim Er-
zählen vielen oder zumindest einigen Flaschen Wein auf den Grund
sahen. Sonntags war dann im Sommer ein Picknick im Grunewald
dran, im Winter nachmittags ein Besuch im Café Kranzler und
abends Oper oder Theater.
Heute abend war Inge, wohl ermutigt durch den Pernod, über
ihren eigenen Schatten gesprungen und hatte bei seinen Eltern an-
gerufen, um Werner zu sprechen.
Und seine Mutter hatte gesagt: »Es tut mir leid, Fräulein Inge,
aber mein Sohn ist nicht zu Hause.« Inge hatte richtig hören kön-
nen, daß es seiner Mutter leid tat. »Rufen Sie doch später noch ein-
mal an …«
Auch das hatte sie getan und Werner tatsächlich gesprochen.
»Ja, ich bin gut angekommen«, hatte er gesagt. »Ja, ich war in der
Stadt.«
Und sie hätte so gerne gefragt: Allein?
Aber das hatte sie dann doch nicht fertiggebracht.
Und er hatte nur gesagt: »Gute Nacht, Inge. Ich bin müde. Es ist
schon spät.«
Das war alles gewesen.
Er war müde, es war schon spät, und es hatte geklungen, als sei
ihm überhaupt nicht bewußt, mit wem er sprach.
Inge ballte die Hände zu Fäusten.
Wenn er zurückkam, würde sie ihn vor die Alternative stellen:
Entweder – Oder. Heirat oder Schluß.
Sie liebte ihn; aber sie konnte auch, das wußte sie, ohne ihn le-
ben, wenn es sein mußte.
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Und Werner Holt ahnte nicht, daß in dieser Nacht zwei Frauen
um ihn weinten und nach Tabletten griffen, um überhaupt schlafen
zu können.
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aß doch den Jungen«, sagte Erwin Holt zu seiner Frau am
LSonntag morgen. »Du siehst doch, daß er glücklich ist.«
»Natürlich lasse ich ihn«, sagte seine Frau und schlug verbissen
die Sahne für die Obsttorte, bis sie gerann.
»Du bemutterst ihn zu sehr«, sagte Erwin. »Du denkst, er ist im-
mer noch der kleine Junge, der dir am liebsten am Schürzenband
hängt.«
»Unsinn«, sagte
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