Sputnik Sweetheart
Einsitzer, wie sie sich jeder mit ein bisschen Bambus und ein paar Holzleisten bauen kann. Hinter dem Sitz haben sie einen faustgroßen Motor und hinten einen Propeller. Sumire ruft den vorbeifliegenden Piloten mit lauter Stimme zu, sie mögen ihr doch helfen. Aber die Piloten schauen nicht einmal in ihre Richtung.
Wahrscheinlich kann mich wegen meiner Kleidung keiner sehen, denkt Sumire. Sie trägt eines dieser unförmigen, langen, weißen Nachthemden, wie man sie im Krankenhaus bekommt. Sie zieht es aus. Darunter ist sie nackt. Sie legt das Nachthemd an der Tür ab, wo es vom Wind erfasst wird und wie eine heimatlose Seele davonsegelt. Der gleiche Wind liebkost ihren Körper und zerzaust ihr Schamhaar. Unversehens haben sich die kleinen Flugmaschinen in Libellen verwandelt, und die Luft ist voll von den bunt schillernden, großen Insekten. Ihre riesigen rollenden Augäpfel glänzen hell. Das Sirren ihrer Flügel wird immer lauter – als würde man die Lautstärke eines Radios aufdrehen – bis es zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen angeschwollen ist. Sumire kauert sich auf den Boden, schließt die Augen und hält sich die Ohren zu.
Und wacht auf.
Bis in alle Einzelheiten erinnert sich Sumire an diesen Traum. Sie könnte ein Bild davon malen. Nur das Gesicht ihrer Mutter, die in das Loch gesaugt wurde, ist aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Und auch die alles entscheidenden Worte ihrer Mutter sind für immer im Nichts verschollen. Sumire beißt in ihr Kissen und weint herzzerreißend.
Der Barbier gräbt keine Grube mehr
Nach diesem Traum habe ich einen wichtigen Entschluss gefasst. Die Spitze meiner fleißigen Hacke trifft endlich auf harten Felsen. Hack. Ich werde Miu deutlich machen, was ich will. Ich kann nicht für alle Ewigkeit so in der Luft hängen. Es geht nicht, dass ich weiter wie dieser Barbier eine Grube in meinem Hinterhof grabe und meine Liebe zu Miu hineinflüstere. Wenn ich so weitermache, werde ich mich immer mehr verlieren. Diese ganzen Morgen- und Abenddämmerungen werden mich Stück für Stück meines Ichs berauben. Meine gesamte Existenz wird ausgelöscht, und ich löse mich in »Nichts« auf.
Die Dinge sind klar wie Kristall. Kristall. Kristall.
Ich möchte Miu lieben und von ihr geliebt werden. Ich habe schon so viel aufgegeben. Mehr will ich nicht aufgeben. Es ist noch nicht zu spät. Darum muss ich mit Miu reden. Ich muss in ihr Inneres eindringen. Und ich will, dass sie in mich eindringt. Dass wir uns wie zwei unersättliche, glänzende Schlangen umschlingen.
Aber was ist, wenn Miu mich nicht will?
Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als damit fertig zu werden. Wenn jemand erschossen wird, fließt Blut. Ich wetze ein Messer, denn ich muss irgendwo einem Hund die Kehle durchschneiden.
Richtig?
Genau richtig.
Diese Sätze sind eine Botschaft an mich selbst, die Ähnlichkeit mit einem Bumerang hat. Ich werfe ihn, er sirrt durch die Dunkelheit, lässt die kleine Seele eines armen Kängurus erschauern und kehrt schließlich wieder in meine Hand zurück. Der zurückgekommene Bumerang ist nicht der Gleiche wie der, den ich geschleudert habe. Das weiß ich sicher. Bumerang, Bumerang.
12
Dokument 2
Es ist halb drei Uhr nachmittags. Draußen ist es gleißend hell, und es herrscht eine höllische Hitze. Die Klippen, der Himmel und das Meer, alles glitzert in blendendem Weiß. Wenn man eine Weile hinsieht, lösen sich die Konturen auf und verschmelzen. Alles, was lebt, meidet das grelle Licht und sinkt in einen schattigen Schlummer. Nicht einmal die Vögel fliegen umher. Im Haus ist es angenehm kühl. Miu hört im Wohnzimmer Brahms. Sie trägt ein blaues Sommerkleid mit Spaghettiträgern und hat ihr weißes Haar zurückgebunden. Ich sitze an meinem Schreibtisch und schreibe.
»Stört dich die Musik?« fragt Miu.
Brahms stört mich nie, gebe ich zur Antwort.
Ich versuche die Geschichte, die Miu mir vor einigen Tagen im Burgund erzählt hat, aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren, was gar nicht so leicht ist. Immer wieder hat sie die Chronologie ihrer Erzählung unterbrochen, Fakten eingeschoben, Stränge verwirrt. Häufig konnte ich nicht unterscheiden, was früher und was später geschehen ist und was Ursache und was Wirkung war. Natürlich ist das keine Kritik an ihr. Eine versteckte, in ihrem Gedächtnis vergrabene Klinge hat ihr tief ins Fleisch geschnitten, und als die Sterne über dem Weinberg in der Morgendämmerung verblassten, war auch
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