St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
einen Blick in dieses Bändchen dort hinten werfen dürfte.
Prospero schien ihre Gedanken zu lesen, denn er stellte sich zwischen sie und den Schreibtisch. »Dann darf ich also vermuten, mein Fräulein, dass Lance St. Leger Euch von seinen Begegnungen mit mir berichtet hat. Ihr scheint mir eine ziemliche Närrin zu sein, Euch dennoch hierher in den Turm zu wagen.«
»Ach, ich habe ihm nicht geglaubt und dachte, er erfinde so was nur, um mich zu erschrecken. Zu meinem Glück bekomme ich aber nicht so leicht Angst.« »Das ist mir nicht verborgen geblieben«, grinste der Geist. »Und Ihr seid auch nicht halb so abstoßend, wie Lance Euch beschrieben hat.«
»Abstoßend? Bei St. Georg! Ich werde diesen Knaben lehren müssen, dass man mich zu meiner Zeit für einen der bestaussehendsten Männer gehalten hat!« Und eitel sind wir kein bisschen, dachte Kate, als Prospero jetzt auch noch seine Schnurrbartenden glatt strich. Ein recht menschlicher Zug, der ihr diesen großmächtigen Zauberer nicht mehr ganz so großmächtig erscheinen ließ. Und im gleichen Maß nahm ihre Verkrampfung ab.
»Ich glaube nicht, dass Lance Euch damit beleidigen wollte. Er beschrieb Euch nur so, um mich aufzuziehen. Darin ist er nämlich sehr gut.«
»Ganz recht, ich erinnere mich«, bemerkte der Urahn und schwieg dann nachdenklich, um sich nach einem Moment zu erkundigen: »Und wie geht es diesem Tunichtgut und seiner reizenden Braut?«
»Lance und Rosalind geht es sehr gut, und sie sind so verliebt wie eh und je. Sie haben einen mittlerweile dreijährigen Sohn, der auf den Namen John getauft worden ist. Aber jeder nennt ihn Jack.«
»Wie erschütternd einfallslos«, brummte Prospero, aber Kate bemerkte, wie seine Züge weicher wurden. Er kehrte ihr den Rücken zu und streifte durch seine Kammer, schob die Vorhänge seines Betts beiseite und öffnete den Deckel der Truhe ... so als suche er nach etwas, das ihm noch von früher bekannt war.
Genau das, was jeder Normalsterbliche auch getan hätte, wenn er jahrelang, äh, jahrzehntelang fort gewesen wäre. Nur hätte Kate niemals in Prospero einen Normalsterblichen gesehen, selbst dann nicht, wenn er noch am Leben gewesen wäre.
Etwas Geheimnisvolles ging von ihm aus, und jede seiner Bewegungen hatte etwas von der Arroganz eines großen Feldherrn. Eigentlich hatte die junge Frau überhaupt keine Angst mehr vor Prospero. Sie betrachtete ihn mit Staunen und Ergriffenheit, aber nicht mit Furcht. Und sie fragte sich, wo er all die vergangenen Jahre oder Jahrzehnte verbracht haben mochte. In einer Art Vorhölle? In der Unterwelt?
Irgendetwas Besonderes musste in dem Bändchen stehen, wenn er sofort herbeigestürmt kam. Ach, könnte sie doch nur einen klitzekleinen Blick hineinwerfen ...
Während der Zauberer den Inhalt der Truhe in Augenschein nahm, stellte er ihr eine Frage nach der anderen über die restlichen Familienmitglieder. Kate gab ihm brav Antwort, schlich sich dabei aber Zoll um Zoll von der Wand fort und auf den Schreibtisch zu. »... Nein, Dr. Marius St. Leger ist letzten Sommer aus dem Dorf fortgezogen. Er hat einen Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät von Edinburgh angenommen ... Von Lord Anatoles Töchtern sind Leonie und Phoebe unter der Haube. Seine Jüngste, Mariah, heiratet in Bälde einen schottischen Gutsherrn. Als Einziger ist nur Valentine noch unverbandelt.«
Aber nicht mehr lange, schwor sie sich, richtete den Blick auf den Geist und griff mit einer Hand nach dem Buch. Prospero bewegte sich so rasch, dass ihre Sinne nicht folgen konnten. Kate vermochte noch nicht einmal zu sagen, ob er. herbeigelaufen oder -geflogen gekommen war. Eben noch beugte der Zauberer sich über die Truhe, und im nächsten tauchte er zwischen ihr und dem Schreibtisch auf und legte eine Hand auf seinen kostbaren Schatz.
Verdammter Kerl! Die junge Frau kochte vor Wut. Er war doch nur ein Geist. Wenn sie einfach durch ihn hindurch nach dem Buch griffe, was könnte er schon dagegen tun? Ihre Finger schlössen sich um das Buch, aber für eine Hand, die nicht körperlich war, leisteten Prosperos Finger erstaunlichen Widerstand. Auch schien das Bändchen plötzlich mindestens eine Tonne zu wiegen. Doch der Magier schien sich nicht über ihre Frechheit zu ärgern, sondern eher zu belustigen. Für eine Weile belächelte er Kates fruchtlose Bemühungen, dann wurde ihm das wohl zu langweilig.
Er vollführte mit der anderen Hand eine lässige Geste, und die junge Frau wurde plötzlich wie von
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