St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
auf ihrem Mund. Wenn der eine Zauber zu schwach gewesen war, würde sie es eben mit einem stärkeren versuchen müssen.
Hewlett-Packard
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Die schmalen Stufen wanden sich in undurchdringliche Finsternis hinauf, und der Wind heulte durch die Schießscharten. Der alte Turm schien nicht nur räumlich weit vom neuen Flügel entfernt zu sein, ihm fehlte auch die Wärme von Menschen.
Mit bang schlagendem Herzen schlich Kate sich weiter voran und schützte die Kerzenflamme mit einer Hand vor der Zugluft. Auch versuchte sie, nicht an die Geistergeschichten zu denken, die Lance St. Leger ihr gern erzählte. Gänsehautgeschichten darüber, wie er Lord Prospero in diesem Turm begegnet war - wie der alte Zauberer unter Blitz und Donner erschienen war - wie seine Dämonenaugen gefunkelt hatten ... Natürlich hatte Lance sich das alles nur ausgedacht, um ihr einen Schrecken einzujagen. Wenn dagegen Val ihr solche Geschichten berichtet hätte, hätte Kate ihm sicher alles geglaubt. Ihr Held log nämlich nie; und er hatte ihr versichert, noch nie einem Gespenst begegnet zu sein. Val ... Seine dunklen Augen und sein trauriges Lächeln erschienen vor ihrem geistigen Auge und suchten sie schlimmer heim, als ein Geist das jemals vermocht hätte. Und so lähmte nicht die Furcht vor einem lange toten Zauberer ihre Schritte, sondern das schlechte Gewissen gegenüber einem Sterblichen, der noch lebte.
Die junge Frau hatte plötzlich das Gefühl, ihn und seine ganze Familie zu hintergehen. Alle St. Legers hatten sich, jeder auf seine Weise, ihr gegenüber als herzlich und freundlich erwiesen. Und wie wollte sie ihnen diese Güte entgelten? Indem sie ihnen die uralten Geheimnisse stehlen, die Tradition des Brautsuchers überlisten und die Schwarzen Künste gegen den Mann einsetzen würde, der sich immer als ihr treuester Freund erwiesen hatte. Aber blieb ihr denn eine Wahl? Wollte sie zur alten, versponnenen Jungfer werden wie ihre Adoptivmutter Effie? Sollte sie danebenstehen und einfach zuschauen, wie Valentine sich der Einsamkeit hingab, wie er sich opferte, um dieser schrecklichen Sage und seinen sonderbaren Fähigkeiten gerecht zu werden?
Wenn es je einen Mann gegeben hatte, der eine Frau brauchte, die ihm in Liebe zugetan war und nach ihm sah, dann Valentine St. Leger. Vielleicht würde sie ihm nicht die perfekte Ehefrau sein und sicher auch nicht so vollkommen wie ein auserwählte Braut, aber sie wäre immer noch besser für ihn als überhaupt keine Gefährtin. Mit neu gefundener Entschlossenheit lief sie weiter und achtete nur darauf, nicht auf den im Laufe von Jahrhunderten ausgetretenen Stufen auszugleiten. Die Wendeltreppe schien überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Gerade als sie verzweifeln wollte, gelangte sie unvermittelt vor die Turmkammer ...
Trotz Vals Versicherungen, hier gäbe es keine Gespenster, erstarrte Kate, schloss die Augen und musste mehrmals tief durchatmen, um sich zu wappnen ... Wogegen eigentlich? Einen plötzlichen Blitz? Ein grässlich verunstaltetes Koboldgesicht, das unvermittelt aus dem Dunkel hervortrat? Oder gegen einen toten Zauberer, der mit Knochenfingern nach ihr griff?
Nachdem einige Sekunden vergangen waren, ohne dass sich irgendetwas ereignet hatte, wagte Kate es, die Kerze hochzuhalten und sich umzusehen. Sie fühlte sich in ein anderes Jahrhundert versetzt. Der schwache Kerzenschein wanderte über ein gewaltiges Bett mit Brokatvorhängen. In die Pfosten hatte man alte keltische Schriftzeichen geschnitzt, die genauso geheimnisvoll und unverständlich wirkten wie die Ansammlung von Flaschen und Gefäßen auf einem Regal nicht weit davon. Kate nahm staunend einen kleinen Schreibtisch, eine schwere Truhe aus Eichenholz und ein Buchregal wahr, in dem sich dickleibige Bände aneinander drängten. Das alles wirkte gut erhalten und nicht so, als sei es viele hundert Jahre alt.
Eigentlich hatte sie hier Spinnweben und dicke Staubschichten erwartet. Aber alles wirkte peinlich sauber und poliert. Sogar das Bett war aufgeschlagen, so als würde sein Besitzer, der vor fünfhundert Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, jeden Moment zurückkehren.
Ein Gedanke, bei dem sie fröstelte. Die junge Frau verdrängte ihn rasch und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das, was sie hier gefunden hatte: Prosperos geheimen Wissensschatz, seine Zaubersprüche. Kate trat entschlossen vor das Buchregal und kniete sich davor hin. An ihr wunderschönes Abendkleid dachte sie nicht. Sie stellte die Kerze
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