ST - New Frontier 5: Ort der Stille
Ihre Herrscherattitüde Sie daran hindert, zu erkennen, wenn jemand Sie hinters Licht führen könnte. Sie glauben einfach nicht, dass irgendwer Sie täuschen oder austricksen könnte, Cwan.«
»Und wissen Sie auch, was Ihr Problem ist, Kebron?«
»Ja. Mein Problem sind Sie.«
Bevor Si Cwan etwas erwidern konnte, öffnete sich knarrend die Tür zum Saal. Si Cwan entging nicht, dass Kebron unauffällig – beziehungsweise so unauffällig, wie es ihm möglich war – seine Körpermasse zwischen Cwan und die Tür schob. Darüber amüsierte sich der Thallonianer köstlich. Trotz aller Antipathie, die Kebron ihm gegenüber an den Tag legte, besaß er stets genügend Pflichtbewusstsein, Si Cwan vor möglichen Angriffen zu beschützen. Des Weiteren amüsierte ihn, wie sich Soleta instinktiv in Kebrons Schatten zurückzog. Allerdings war es eine durchaus sinnvolle Taktik, da sich Kebrons schiere Masse ausgezeichnet als Deckung eignete. Die meisten Angriffsversuche scheiterten an ihm.
Doch das Individuum, das durch die Tür kam, schien alles andere als eine Bedrohung darzustellen. Es hatte blasse Haut wie die meisten Montosianer, und seine Stirnfühler hingen leicht herab. Er war unzweifelhaft schon älter, seine ergrauten Schnurrhaare standen in verschiedensten Winkeln von seinem spitzen Kinn ab, und er bewegte sich mit schleppenden Schritten auf gebeugten Beinen fort.
In einer Hand hielt er einen dreieckigen Stein. Es war anscheinend nicht die natürliche Form des Steines, sondern man hatte ihn sorgsam geschliffen und poliert. Das Merkwürdigste an diesem Mann war, dass er offenbar in ein Selbstgespräch vertieft war. Er schwenkte den Stein hin und her und murmelte leise und in schneller Folge irgendwelche Worte, als würde er angeregt mit Leuten plaudern, die nur er sehen konnte. Von ihm schien keine Gefahr auszugehen, doch ansonsten war er schwierig einzuschätzen. Si Cwan und die anderen blickten sich gegenseitig mit offener Verblüffung an, da keiner wusste, was er von diesem Neuankömmling halten sollte.
Er schlenderte quer durch den Raum, bestieg das Podium und machte es sich auf einem Stuhl bequem, während er noch eine Weile weiterplauderte. Schließlich wandte er Si Cwan den Blick zu und konzentrierte seine Aufmerksamkeit endlich auf den Botschafter und seine Begleiter.
»Ruhe im Saal!«, rief er gebieterisch, als würde er zu einer größeren Menge sprechen, und klopfte mit dem dreieckigen Stein auf sein Pult. »Die Sitzung des Führungsrats von Montos ist hiermit eröffnet.« Er betrachtete Si Cwan blinzelnd. »Und Sie sind …?«
Si Cwan war noch nie besonders anfällig für Einschüchterungsversuche gewesen. Er richtete sich zu voller Größe auf und sagte mit gewohntem Selbstbewusstsein: »Lord Si Cwan, Angehöriger der ehemaligen Königsfamilie von Thallon. Und das sind die Lieutenants Soleta und Zak Kebron vom Raumschiff
Excalibur
, das die Interessen der Föderation vertritt. Habe ich die Ehre, mit einem Mitglied des Führungsrates zu sprechen?«
»Nein.«
Die schroffe Verneinung verwirrte Si Cwan sehr. »Sagten Sie nein?«
Der alte Mann blickte sich um, als müsste er sich vergewissern, ob vielleicht eine andere Person gesprochen hatte, die seiner Aufmerksamkeit bislang entgangen war. Als er keinen entsprechenden Hinweis entdeckte, nickte er. »Ja, es scheint so.«
»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin Fr’Col«, sagte er mit leichter Überraschung, als könnte er sich nicht vorstellen, warum sich Si Cwan genötigt sah, eine solche Frage zu stellen. Es war doch völlig offensichtlich, wer er war.
»Und Sie sind kein Mitglied des Führungsrates?«
»Nein. Ich bin die Gesamtheit des Führungsrates.«
»Können wir jetzt endlich gehen?«, flüsterte Kebron. Er hatte Soleta angesprochen, deren Gehör fein genug war, um das leise Gemurmel zu verstehen. Natürlich wahrte sie die Fassung und gab nicht einmal zu erkennen, dass sie die Bemerkung registriert hatte.
»Darf ich fragen, wo sich der Rest des Rates befindet?«
»Ja«, sagte der alte Mann, der sich als Fr’Col vorgestellt hatte. Dann widmete er sich dem dreieckigen Stein, als würde der Gegenstand plötzlich eine unglaubliche Faszination auf ihn ausüben.
Si Cwan stand kurz davor, die Geduld zu verlieren. Doch er kämpfte dagegen an. Es hatte viele Monate der Konzentration und Selbstdisziplin erfordert, die herrische Art abzulegen, die ihm von vielen – einschließlich und hauptsächlich Kebron – vorgeworfen wurde.
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