Staatsanwalt sucht Polizist
Es lagen zwar keine obligatorischen drei Tage zwischen der Nachricht und unserem letzten Zufallstreffen, aber ich dachte an Julia, die mal zu mir gesagt hatte, dass die ganzen Rendezvous-was-darf-ich-und-was-gehört-sich-nicht-Regeln absoluter Quatsch seien.
Damals hatte ich gerade einen blonden Studenten namens Piet kennengelernt. Er studierte auch Jura und war genauso schwul wie ich. Als er sich nach vier Tagen noch immer nicht gemeldet hatte, war ich auf Julias gemütlicher, roter, mit Keksen bekleckerten Wohnzimmercouch – ihr mittlerweile sechsjähriger Sohn Valentin hatte ganze Arbeit geleistet – zusammengebrochen. Ihr Mann war zum Glück nicht da gewesen, sonst hätte ich mich wahrscheinlich maßlos blamiert. Aber da er ebenfalls bei der Polizei arbeitete – was für ein Zufall – war er mal wieder bei irgendwelchen Sondereinsätzen. „Piet meldet sich nicht. Und dabei habe ich ihm bereits vor vier Tagen meine Telefonnummer gegeben“, jammerte ich. Julia hatte sich zu mir gesetzt und mir neuen Tee eingeschenkt. „Marten! Dieser ganze Quatsch von wegen ich-kann-ihn-erst-anrufen-wenn-drei-Tage-um-sind-oder-er-will-mich-nicht-mehr hat sich irgendjemand ausgedacht, der beziehungsunfähig ist. Warum meinst du, heißt es, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt? Wenn sich jemand ernsthaft für dich interessiert, dann ist es vollkommen egal, wann er sich meldet. Wenn dein Bauchgefühl dir sagt, ich muss ihn einen Tag später anrufen, dann tue es. Scheiß doch auf die drei Tage. Wenn er dich zu aufdringlich findet, kannst du ihn sowieso vergessen. Und wenn er dich auch mag, freut er sich über deinen Anruf.“ Mit hochroten Wangen hatte sie vor mir gesessen und fast wütend in ihren selbstgebackenen, viel zu harten Keks gebissen. „Hier, nimm dir erst mal einen Keks. Und nun ruf ihn an.“ Sie hatte mir das Telefon über den Tisch geschoben und mich abwartend angeguckt. Unsicher hatte ich bei Piet angerufen, der hocherfreut ins Telefon gelacht hatte. Er hatte meine Nummer verloren und sich seit Tagen darüber geärgert. Ich gab ihm meine Nummer erneut und er versprach, gleich am Abend anzurufen. Bereits einen Tag später saßen wir zusammen in einer Kneipe. Alles in allem war es eine recht kurze Affäre. Piet war einfach nicht sesshaft. Er wollte ausprobieren und Erfahrungen sammeln. Eine feste Beziehung kam für ihn nicht in Frage. Ich war nur mäßig traurig, denn ich hatte die ganze Zeit über gespürt, dass Piet nicht der Richtige für mich war. Meine Oma hätte gesagt, er hatte noch Eierschalen hinter den Ohren. Und sowas konnte ich auf Dauer nicht gebrauchen. Ich wollte Staatsanwalt werden und ein ruhiges, gesetztes Leben führen. Ich wollte Verantwortung tragen, nicht nur beruflich, sondern auch privat.
* * *
Am Sonntagnachmittag, ich war gerade zu Hause angekommen, schnappte ich mir mein Handy und verschickte meine erste SMS.
Moin Nico,
na, wie steht’s mit einem Bier in dieser Woche? Ich würde mich freuen. Sag einfach wann und wo.
Gruß, Marten
Ich legte das Handy auf den Wohnzimmertisch und ging in die Küche, um mir etwas zu essen zu holen. Ich hatte meinen Küchenschrank noch gar nicht ganz erreicht, als mein Handy schrie: „Sie haben Post, uuhuhuhuuuu!“ Aufgeregt lief ich zurück.
Moin Marten,
bin erst ab Dienstag wieder im Lande. Muss noch auf Fortbildung nach Lüchow :) Ich melde mich dann die Tage wegen eines Treffens. Dir noch ein schönes Restwochenende :)
Oh, mein Gott! Er mag mich. Er muss mich mögen. Die Antwort hatte keine Minute auf sich warten lassen. Wenn das kein Zeichen war.
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Ich zog mir am Sonntagabend noch meinen obligatorischen Tatort rein und ging danach ins Bett.
Am Montag hatte ich keine Gerichtstermine und schwitzte über meinen Akten. Ein Fall machte mir besondere Sorgen. Bei einem Mann Mitte Vierzig hatte die Polizei über achthundert Dateien mit Kinderpornos und Aktfotos gefunden. Laut Polizeibericht hatte er dafür aber ganz schön billige Ausreden. Eine davon war, dass diese Dateien als Virusanhang mit seiner E-mailpost auf seinen Rechner gekommen sein mussten. Gott, einige Leute waren sich echt nicht zu schade, um solch dämliche Lügen zu erfinden. Für wie dumm hielten die uns eigentlich? Für mich war es gar keine Frage, beim zuständigen Richter einen Antrag auf Klageerhebung zu stellen.
Am Dienstagnachmittag saß ich in der Bahn auf dem Weg nach Hause. Den ganzen Tag lang
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