Staatsanwalt sucht Polizist
Hände an der weißen Schürze ab. „Sicher, das verstehe ich natürlich. Gut, ich werde das notieren. Zu wann benötigen Sie die Torte?“
„Wir heiraten am neunten August. Liefern Sie sie bitte an diese Adresse.“ Ich reichte der netten Dame ein Kärtchen mit der Adresse unserer kleinen, bescheidenen Villa, die wir erst vor kurzem gekauft hatten. Dann verabschiedeten wir uns.
* * *
„Und wie ist der Abend dann zu Ende gegangen?“ Fragend blickte Jürgen mir in die Augen. Ich ließ mich in die Sofakissen sinken und atmete tief durch.
„Gut!“
„Gut. Was heißt gut?“ Ungeduldig ließ sich Jürgen auf seinen Fernsehsessel plumpsen.
„Na ja, wie ich sagte. Er war liebenswürdig, nett und erfrischend komisch. Und er war kein bisschen abgeschreckt, als ich ihm verklickert hatte, dass ich schwul bin. Ich weiß gar nicht mehr, in welchem Zusammenhang sein Angebot kam, aber er hat mir doch tatsächlich eine Matratze in seiner Wohnung angeboten. Fürs nächste Mal. Und zuvor hatte er noch betont, wie gutaussehend ich doch sei, wie charmant und witzig. Dabei war das eigentlich mein Text.“ Ich richtete mich wieder auf. „Mensch, Jürgen! Wenn du die Story so hörst, denkst du dann, dass Nico hetero ist?“
Stumm saß Jürgen neben mir und starrte auf den Boden.
„Nun sag doch auch mal was …“
„Tja“, begann er und atmete tief durch. „Für mich hört es sich so an, als wäre er absolut schwul. Kein Hetero macht einem Schwulen solche Angebote und Komplimente. Im Gegenteil, die ‚normalen‘ Jungs haben doch eher Angst vor uns und glauben, wir hätten eine ansteckende Krankheit und sobald sie uns zu nahe kommen, infizieren sie sich mit dem noch unerforschten Virus der Homosexualität.“ Verbittert lachte Jürgen auf. „Ich bin siebenundfünfzig Jahre alt und außer dir und ein paar sehr engen Freunden weiß niemand, dass ich auf Männer stehe. Ich bin seit fast dreißig Jahren Richter und hatte immer das Gefühl, ein Coming-out würde mich meinen Job kosten. Die Menschen sind nicht immer so locker mit der Homosexualität umgegangen, wie sie es heute tun. Zumindest in den alten Bundesländern stößt man immer mehr auf Verständnis und Gleichgesinnte.“
„Stimmt. Ich habe neulich erst einen Artikel über den Wandel der Zeit gelesen. Mittlerweile haben sich weitaus mehr Menschen zu ihren gleichgeschlechtlichen Gefühlen bekannt. Ich meine, hallo! Allein in zwei Großstädten sitzen Homosexuelle im höchsten Amt.“
„Richtig. Aber diese Homophobie, wie die irrationale Angst vor homosexuellen Menschen genannt wird, ist durch nichts sachlich zu begründen. Wahrscheinlich trägt jeder einen gewissen Anteil der männlichen und weiblichen Seite in sich und nur bei einigen Menschen ist die Vorliebe für das eigene Geschlecht besonders ausgeprägt.“
Ich schaute Jürgen an. Nach ein paar Gläsern Wein hatte er mir mal im Vertrauen gesteckt, dass er seine Homosexualität aus gesellschaftlichen Zwängen heraus nie richtig ausgelebt und erst damit angefangen hatte, seitdem er mich kannte. Vierundvierzig Jahre Versteckspiel und das Flüchten in heimliche Phantasien. Eine absolute Horrorvorstellung. Und das komische war, dass sein langjähriger Freund Klaus genauso stockschwul war wie er. Beide sind fast vierzig Jahre lang durch dick und dünn gegangen, ohne sich von ihren eigentlichen sexuellen Vorlieben zu erzählen. Da musste erst so ein junger Kerl wie ich kommen und beiden gehörig den Kopf waschen. Gott, war das ein verrückter Abend gewesen..
„Übrigens, das Buch, das du mir zum Geburtstag geschenkt hast, ist total interessant geschrieben. Wusstest du, dass die Homosexualität im Mittelalter beziehungsweise der Analverkehr von christlicher Seite her eine Sünde war, später dann wurde die sogenannte Sodomie sogar verfolgt und führte zu Hunderten von Hinrichtungen. Preußen änderte die Todesstrafe zumindest in eine Zuchthausstrafe um, aber ob du es glaubst oder nicht, der Paragraph einhundertfünfundsiebzig des Strafgesetzbuches, also die Bestrafung des gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehrs, wurde erst 1969 von der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft. Das ist der absolute Wahnsinn. Das ist gerade mal knapp vierzig Jahre her. Bis dahin arbeitete die Polizei mit Spitzeln und jeder, der erwischt wurde, kam auf eine Rosa Liste. Von den Gewaltakten vieler Jugendlicher und irgendwelcher Randgruppen mal ganz zu schweigen. Marten, du machst dir gar keine Vorstellung von der
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