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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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jeden Fall geräumt werden, damit können Hendriks Männer gleich anfangen.“ Berit stellte sich neben Tessa und blickte auf die Eiswand, in der das Schiff verschwand. Der Anblick war unglaublich, als befänden sie sich in einem Hollywoodschinken. Als wüchse der Schiffsrumpf direkt aus dem Eis. „Unfassbar, dass es durch den Druck nicht geborsten ist“, sagte Tessa nachdenklich. „Sieh nur, wie hoch diese Wand ist. Das Gewicht ist unvorstellbar. Ich bin gespannt, was die Statiker sagen werden.“
    „Du hast recht, daran hab ich gar nicht gedacht. Die anderen Schiffe wurden vergraben, aber dieses muss de facto schockgefrostet worden sein. Wie eine Kirsche in einem Eiswürfel.“
    Sie gingen weiter, und das Holz gab einen lang gezogenen, seufzenden Laut von sich.
    „Ganz schön unheimlich.“ Tessa rieb unbewusst ihre Oberarme. „Auf den ersten Blick gibt es hier zu viele Dinge, die gar nicht möglich sein dürften. Und trotzdem sind sie es.“
    Sie stolperte und griff haltsuchend nach der Reling. Berit schob mit der Schuhspitze die Schlammbrocken beiseite und förderte etwas zutage, das aussah wie eine dunkle Plane. Ein dunkle Plane, an der stellenweise Haarbüschel hingen.
    Fracht und Ladegut waren während der Überfahrt oft mit Fellen oder gewachsten Tierhäuten vor der rauen See geschützt worden.
    „Sollen wir?“, fragte Berit und zog bereits die Arbeitshandschuhe aus ihrer Jacke. Tessa blickte beklommen auf das dunkle, nasse, schmutzige Etwas vor sich auf dem Boden. Ein unerklärliches Gefühl befahl ihr, sich umzudrehen und zu laufen. So weit und so schnell sie konnte. Sie atmete tief durch und die frische, klare Luft brachte ihr die Lächerlichkeit dieses Gedankens zu Bewusstsein.
    Sie hatte viele Gräber geöffnet. Sie kannte den Geruch und das Flüstern des Todes. Die mumifizierten Leichen von Menschen und Tieren. Die Faszination des Eindringens in eine andere Welt.
    Hier gab es nichts, was sie nicht schon gesehen hatte. Nichts, das sie erschüttern konnte. Also fischte sie ihre eigenen Arbeitshandschuhe aus der Jacke, um Berit zur Hand zu gehen, die sich bereits nieder gehockt hatte, und tastete sich an der Längskante der Tierhaut entlang. Sie war mit dicken, angerosteten Nägeln auf dem Deck befestigt, erweckte aber nicht den Eindruck brüchig zu sein oder bei Berührung zu Staub zu zerfallen. „Sollen wir die Männer rufen?“
    „Nein, das schaffen wir alleine.“ Berit zog ihr Schweizermesser und wählte aus den Klingen jene mit dem Dosenöffner. Sie setzte ihn fachmännisch als Hebel unter den Nagelkopf, aber Tessa stellten sich bei dieser Vorgehensweise trotzdem die Haare auf. „Musst du wieder Indiana Jones spielen?“
    „Quatsch, das schadet doch niemandem, ich mach schon nichts kaputt. Und wenn doch …“ Sie hielt kurz inne und grinste Tessa ohne Skrupel an. „Waren es halt später die Wildschweine vom Bergungstrupp. Willst du tatsächlich die Meute von unten raufholen und diesen Moment mit ihnen teilen?“
    Tessa schüttelte den Kopf. Natürlich wollte sie das nicht. Also sah sie zu, wie Berit einen Nagel nach dem anderen aus dem Holz hebelte und sammelte sie in einer verschließbaren Plastiktüte. Die ersten Artefakte des Bjöhrendal Schatzes.
    Berit steckte das Messer wieder ein und richtete sich auf, um ihr Werk zu betrachten. Die Plane verschwand so wie das restliche Schiff mit dem hinteren Ende in der Eiswand. Sie konnten sie also nur zurückschlagen oder aufrollen, aber nicht zur Gänze entfernen. Auf jeden Fall jedoch würden sie sehen, was sich darunter verbarg.
    „Bereit?“ Berit nahm ein Ende der Haut und hob sie leicht an.
    „Auf drei schlagen wir sie zurück.“
    Nässe und Schlammbrocken hatten die Plane unglaublich schwer und träge gemacht. Tessa nickte und mobilisierte Kräfte in ihren Oberarmen, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß. Schweiß rann über ihr Gesicht und sie biss die Zähne zusammen. Nur der Gedanke daran, was sie wohl gleich entdecken würden, ließ sie durchhalten.
    „Eins … zwei …“
    „Drei“, riefen sie gleichzeitig und schlugen die Plane zurück. Das Holz darunter war eine Nuance heller als das der Reling. Mit der Plane in der Hand starrten sie auf das freigelegte Rechteck. Da war nichts. Nichts außer sauberen Planken.
    „Das gibt’s doch nicht.“ Berit stemmte die Arme in die Hüften. „Wozu eine Plane, wenn nichts drunter ist?“
    „Vielleicht weiter hinten, dort wo das Schiff noch im Eis steckt“, schlug

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