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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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machte sie für einen Moment lang sprachlos. Dann entgegnete sie nicht weniger aggressiv: „Und wer glaubst du, dass du bist, um einfach danebenstehen und zusehen zu können, wenn jemand Hilfe braucht?“
    Er beugte sich vor. „Wer ich bin? Das will ich dir sagen – mir sind die Menschen gleichgültig, die noch leben. Warum sollte ich mich dann um jemanden scheren, dessen Gebeine mittlerweile längst verfault sind? Deine Meldis – so war doch ihr Name – und ob sie lebt oder nicht lebt, ist mir so egal wie der Stein dort drüben.“
    Tessa sah ihn stumm an. Sie konnte nicht glauben, dass er tatsächlich meinte, was er sagte. Niemand konnte so gefühllos sein. Sie dachte an die fröhliche, unbeschwerte Meldis, der sie so oft das Haar geflochten hatte. Neugierig und eigensinnig, sprühend vor Übermut und Lebensfreude. Das Mädchen hatte etwas Besseres verdient, als einem brutalen Schlächter zum Opfer zu fallen.
    Aber natürlich konnte sie ihn nicht zwingen, ihr zu helfen. „Gut, dann sieh zu, wie du zurückkommst. Ich bleibe hier und werde versuchen, zu verhindern, dass Meldis getötet wird“, sagte sie schließlich müde und wandte sich zum Gehen. Aber da fiel ihr etwas ein und sie drehte sich noch einmal zu ihm um. „Möglicherweise glaubst du, dass du lebst, Nick. Aber du bist tot. So tot, wie man nur tot sein kann. Du weißt es nur noch nicht.“
    Ehe er zu einer Erwiderung ansetzen konnte, ertönte hinter ihnen eine helle Stimme. „Alva, da bist du ja! Ich habe dich überall gesucht.“
    Sie wandten sich beide um und Tessa konnte spüren, wie der Mann neben ihr erstarrte und scharf einatmete. Allerdings kam sie nicht dazu, ihn anzusehen, denn Meldis stand bereits vor ihr und funkelte sie zornig an. „Und wo finde ich dich? Hast du überhaupt kein …“
    Sie konnte den Satz nicht beenden, da Serre – oder Nick? – sie völlig unerwartet in seine Arme zog und küsste, als hinge sein Leben davon ab. Seine Leidenschaft blieb allerdings völlig einseitig, da Meldis wie wild strampelte und mit den Fäusten auf seine Schultern trommelte, ohne damit jedoch einen sichtbaren Erfolg zu erzielen.
    Tessa beobachtete die Szene mit geradezu absurder Faszination. Es erging ihr wie den Zeugen eines Unfalls, sie konnte einfach nicht wegsehen. Noch nie hatte sie erlebt, dass ein Mann eine Frau mit jeder Faser seines Körpers küsste. Aber genau das war es, was Serre tat und die Intensität dieser Umarmung schwappte bis zu ihr herüber.
    Als er Meldis endlich wieder auf den Boden stellte, holte sie blitzschnell aus und schlug ihm ins Gesicht, ehe er zurückweichen konnte und damit außerhalb ihrer Reichweite war. Nicht mit der flachen Hand, sondern mit der geballten Faust. Serres Kopf flog nach hinten und seine Lippe platzte auf.
    Während er sie noch ungläubig betastete, schrie ihn Meldis zornig an. „Du bist ein aufdringlicher, ungehobelter Klotz, Serre Erikson. Bleib mir vom Leib und such dir eine, der es gefällt, wenn du dich wie ein brunftiger Hirsch benimmst. Mich kriegst du nicht, niemals! Ganz egal, was mein Vater und der Jarl sagen!“ Sie drehte sich um und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Dann besann sie sich eines Besseren und blieb stehen. „Alva, du kommst mit mir, sofort, oder ich lasse dich auspeitschen.“
    Tessa setzte sich langsam in Bewegung und konnte sich dabei nicht verkneifen Nick, der sich das Blut mit der Hand abwischte, an seine eigenen Worte zu erinnern: „Sie ist seit über 1000 Jahren tot, vergiss das nicht.“
    „Alva, komm endlich“, rief Meldis aus einiger Entfernung.
    „Wir sehen uns später.“ Sie lächelte Nick boshaft an und beeilte sich, Meldis einzuholen. Der Himmel alleine mochte wissen, was in ihn gefahren war, das Mädchen zu küssen. Noch dazu so zu küssen. Aber wie die Dinge lagen, würde sich Nick nicht länger sträuben, ihr zu helfen – sobald er erfuhr, dass es Meldis war, die er geküsst hatte. Und dass Meldis das Mädchen war, dessen Tod sie verhindern wollte.
    Nick sah den beiden nach. Seine Hand, mit der er das Blut von der Lippe wischte, zitterte. Es war unmöglich. So unmöglich wie das ganze verdammte Unternehmen, in das er hineingezogen worden war.
    Aber obwohl es unmöglich war, hatte er gerade Astrid in den Armen gehalten und geküsst. Vom dichten glänzenden Haar über die funkelnden blauen Augen und bis zu der kleinen, wohlproportionierten Figur war es Astrid gewesen. Was tat sie hier? Und warum erkannte sie ihn nicht?
    Er musste das

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