Stachel der Erinnerung
Ballsaal.
»Matthew,
was um aller in der Welt tust du? Wir können doch unmöglich gehen, wenn noch so
viele Gäste hier sind.«
Was Matthew
nicht hinderte, noch rascher zu gehen. Er zog sie eilends die Treppe hinauf,
hastete mit ihr in seine Suite und verschloß die Tür hinter sich. »Jeden
einzelnen Mann dort unten gelüstet es nach dir. Und da dieses Recht alleine
mir gehört, gedenke ich derjenige zu sein, der sich dieses Recht nun nimmt.«
»Matthew!«
Sein leidenschaftlicher Kuß erstickte ihren Protest. Wild, als ob er sie
bestrafen wollte, küßte er sie. Doch dann wurde sein Kuß sanft, drängend und
unendlich zärtlich. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, bis er begann, sie
zu entkleiden, und bis sich seine Hände um ihre Brüste schlossen. Jessie
dachte längst nicht mehr an den Ball. Schließlich hielten ja Papa Reggie und
Lady Bainbridge dort die Stellung. Und heimlich gestand sie sich, daß es ihr
Spaß machte, »unanständig« zu sein. Im übrigen zuckte ihr flüchtig der Gedanke
durch den Kopf, daß ihr steifer und korrekter Ehemann immer spontaner wurde ...
Eine
goldene
Vormittagssonne ergoß sich über die endlosen grünen Felder von Belmore. In
einiger Entfernung war ein Feld Gerste
abgeerntet worden, dessen gelbe Halme man auf dem Feld
liegengelassen hatte. Die konnten später die Kühe fressen. Adam Harcourt stand
sinnend auf der Terrasse und blickte in die Gärten, die davor begannen. Mehr
als ein Dutzend Gäste hatte auf
Belmore übernachtet. Leute, die von weitem angereist waren, Freunde aus London
oder aus anderen Teilen des Landes, ebenso wie Matts Freunde aus der Marine.
Ein spätes
Frühstück war draußen unter einem großen, grünweiß gestreiften Baldachin
serviert worden. Es gab Schinken, Eier,
Fasan, Cheshire-Käse, kalte Zunge, Kakao, Tee, Kaffee und warme, knusprige
Weizenmehlkuchen. Doch es war das Mädchen in dem pfefferminzfarbenen,
gestreiften Kleid, das Adams Aufmerksamkeit fesselte.
»Ah, da
bist du ja.« Matt Seaton kam auf ihn zu, und Adam riß seine Augen von dem
Mädchen los. »Ich habe mich schon gefragt, wohin du verschwunden sein
könntest.«
Adam
lächelte schwach. »Ich habe die Aussicht genossen.« Matt folgte seinem Blick zu
der zierlichen, dunkelhaarigen Schönheit. »Ich habe sie gestern abend schon
gesehen, als sie in den Ballsaal kam. Du hast versäumt, mich ihr vorzustellen.«
Matt wurde ernst. »Ihr Name ist Gwendolyn Lockhart. Sie ist die Stieftochter
des Grafen von Waring. Sie ist noch unschuldig, Adam, wohl kaum eine Frau, die
dich interessieren könnte.« Adam betrachtete das Mädchen weiter. Ihm gefiel die
Art, wie sie sich bewegte, nicht so geziert wie die meisten Frauen, sondern
voller Energie und Leben. »Sie hat herrliche Augen ... so grün wie frisches
Laub. Ich habe sie schon früher einmal gesehen ... ich bin allerdings nicht
sicher, wo.«
»Laß sie in
Ruhe, Adam. Das Mädchen ist eine Freundin von Jessica. Sie ist ganz allein
hier, und das bedeutet, daß sie unter meinem Schutz steht.«
»Ganz
allein? Du meinst, sie ist ohne Begleitung hier?«
Matt
seufzte. »Das Mädchen ist noch schwieriger zu bändigen als Jessie. Sie hat
eine Vorliebe dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen, und sie hat außerdem
eine Familie, die sich absolut nicht um sie kümmert. Sie ist viel zu verwegen
und viel zu unvernünftig. Abgesehen davon ist sie viel zu naiv, um mit einem
Mann von Welt, wie du einer bist, fertig zu werden.«
Über Adams
Gesicht zuckte ein begeistertes Grienen. »Jetzt weiß ich, wo ich sie schon
einmal gesehen habe. Sie war das Mädchen im Fallen Angel ... die zusammen mit
deiner Frau dort war.«
Matthew
erstarrte. »Zur Hölle! Und ich hatte gehofft, niemand hätte sie dort gesehen.«
»Ich glaube
nicht, daß irgend jemand sonst noch ahnte, wer die beiden waren. Ich wäre auch
nicht mißtrauisch geworden, wärst du nicht wie Sir Lancelot auf der Bildfläche
erschienen und hättest die beiden dort rausgeholt.«
Matt sah
ihn stumm an, bis er endlich sagte: »Es überrascht mich, daß du einen solchen
Ort aufsuchst. Ich hatte keine Ahnung, daß dein Geschmack in diese Richtung
geht.«
Adam zuckte
mit den Schultern. In den letzten acht Jahren, die seit seiner Horror-Ehe
vergangen waren, hatte es nicht viel gegeben, was er nicht ausprobiert hatte.
»Beinahe alles kann Spaß machen ... zu seiner Zeit. So was wie dort ist
allerdings normalerweise nicht das, was ich bevorzuge. Der Sohn von Lord Chasen,
Philip, wollte unbedingt in
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