Stachel der Erinnerung
war die Metzelei des
Krieges neu. Niemand von ihnen hatte vergessen, daß der Tod auch sie als
nächsten treffen konnte.
Vielleicht
war es ganz einfach heilsam, für kurze Zeit die Realität zu vergessen.
Nelsons
Stimme lenkte Matthews Aufmerksamkeit vom Bullauge ab. »Sagt mir, Kapitän
Seaton, jetzt, wo Ihr wieder zurückgekehrt seid, entspricht die Norwich und
ihre Mannschaft noch immer Euren strengen Prinzipien?« Der Admiral lehnte sich
in dem Stuhl aus Rosenholz zurück. Er war ein gutaussehender Mann, gerade erst
siebenundvierzig Jahre alt. Für die schwere Verantwortung, die auf seinen
Schultern lastete, war er verhältnismäßig jung. Sein Geburtstag war wenige Tage
vor Matthews Ankunft an Bord der Victory gefeiert worden.
Matthew
lächelte. »Kapitän Munsen hat in meiner Abwesenheit beste Arbeit geleistet.
Ich habe keine Zweifel, daß die Norwich in der Schlacht all Eure
Erwartungen erfüllen wird. Die Männer sind bereit. Sie können es kaum erwarten
zu kämpfen. Sie werden Euch nicht enttäuschen, Admiral Nelson.«
»Es freut
mich, das zu hören, doch es überrascht mich nicht. Ich denke, bei aller
Hochachtung vor Kapitän Munsen, daß das Schiff noch besser geführt werden wird,
wenn Ihr das Kommando führt. Ich danke Euch, Kapitän, für Eure schnelle Rückkehr
zum Dienst. Erfahrung ist der entscheidende Faktor in jeder Schlacht. Ich
denke, sie könnte den Unterschied zwischen Erfolg und Mißerfolg bedeuten in
dem Konflikt, der vor uns liegt.«
Matthew
schwenkte gemächlich den Brandy in seinem Glas. »Wie lange
wird es noch dauern, Admiral, bis die französische Flotte ausläuft?«
»Sie
könnten täglich von Cádiz lossegeln. Sobald das passiert, werden wir uns ihnen
entgegenstellen. Es gibt natürlich auch noch andere Faktoren, die dabei eine
Rolle spielen. Der Wind muß sich halten, die See muß ruhig sein, um manövrieren
zu können.« Er lehnte sich vor und begann eine Diskussion über die Strategie
der bevorstehenden Konfrontation. »Mein Plan ist ganz einfach. Wir werden in
drei Linien angreifen – die Victory und fünfzehn andere Schiffe,
einschließlich derer, deren Kapitäne heute hier sind, werden in der ersten
Linie sein. Admiral Collingwood und seine Linie werden von hinten angreifen.
Und eine dritte Linie, die aus unseren schnellsten Schiffen besteht, wird so
manövrieren, daß sie dort eingreifen kann, wo es nötig ist.«
Nelson
erörterte die Einzelheiten seines Plans, und alle Männer lauschten ihm
aufmerksam. Wenn es einen Mann gab, der diese Schlacht gewinnen konnte, dann
war dieser Mann Nelson. Seine Männer würden ihm bedingungslos in die Tiefen der
Hölle folgen.
Matt war
froh, daß die Norwich ausgewählt worden war, um unter Nelsons Kommando
zu stehen, denn sein Vertrauen zu dem Admiral war genausogroß wie das der
anderen Männer. Dennoch machte er sich Sorgen über den Ausgang der Schlacht. Er
sah voller Unruhe den Verlusten entgegen, die bei einer so großen Schlacht
unausweichlich waren.
Die Stunden
vergingen, der Admiral beendete seine Besprechung. Mit einem abschließenden
Gruß und guten Wünschen kehrten die Kapitäne auf ihre Schiffe zurück.
Matt war
nervös. Er dachte an Jessie und fühlte sich einsam. Verdrießlich kehrte er in
seine Kabine zurück und verschloß sie. Doch kurz darauf klopfte es eindringlich
an der Tür. Als Matt öffnete und er seinen Freund Graham Paxton sah, trat er
zur Seite und ließ ihn ein.
»Nun, wie
ist es gelaufen?« Der Mann zog seinen Kopf ein und trat durch die niedrige Tür.
Matthew
lächelte. »Ihr seid gar nicht ungeduldig, nicht wahr, Doktor?«
Graham
lachte. »Wenn Ihr meint, ob ich die Schlacht nicht erwarten kann, dann ist
meine Antwort nein. Wenn Ihr meint, ich kann es nicht erwarten, diese Schlacht
hinter mich zu bringen, dann ist die Antwort ja. Es ist so, als ob wir schon
eine Ewigkeit auf diesen Augenblick warten.«
Matt ging zur
Anrichte und goß seinem Freund einen kräftigen Brandy ein. »Hier. Ihr seht
aus, als könntet Ihr das gebrauchen.«
»Danke.« Er
nahm den Schwenker. »Vielleicht wird der helfen, meine Nerven zu beruhigen.«
Matt
deutete auf einen Stuhl, und sie setzten sich beide. »Die Besprechung verlief
ganz gut, denke ich. Es gab die üblichen Formalitäten – eine Kapelle spielte
auf Deck, und es wurde eine kurze Willkommensrede gehalten. Das Essen war
vorzüglich. Aber ich glaube, daß sich mein Alter langsam bemerkbar macht. Ich
wurde ungeduldig bei dem ganzen starren Theater. Mir wäre
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