Stachel der Erinnerung
würde. Vielleicht hatte Matthew ja doch recht gehabt
in seiner Beurteilung des Vicomte. »Gwen wird Euch nicht heiraten, Adam. Und
auch sonst keinen anderen Mann. Sie hat geschworen, daß sie niemals heiraten
wird. Und wenn Ihr versuchen solltet, ihr zu befehlen ...«
»Ich werde
ihr nichts befehlen. Diesmal werde ich sie bitten. Was Gwendolyn betrifft, habe
ich meine Lektion sehr gut gelernt. Ich werde nicht versuchen, sie zu zwingen.
Ich werde vor ihr auf die Knie fallen und sie anflehen, wenn es nötig ist.«
Ein leises
Geräusch an der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. Gwen stand steif an der Tür,
wieder in den braunen Samtumhang des Vicomte gehüllt. Er war so voluminös, daß
sie einen Teil davon wie eine Schleppe hinter sich herzog.
»Jessica
hat recht, Mylord. Ich habe nicht die Absicht, Euch zu heiraten.« Sie reckte
sich, doch unter dem riesigen Umhang des Vicomte war ihr Bemühen vergeblich,
größer zu erscheinen. »Ich brauche Euer Mitleid nicht«, erklärte sie. »Ich habe
es noch nie gebraucht. Außerdem werde ich nicht die Form einer brutalen
Herrschaft gegen die andere eintauschen.« Sie verzog den Mund, doch ein
richtiges Lächeln brachte sie nicht zustande. »Dennoch danke ich Euch für den
heutigen Abend. Es war sehr galant von Euch, wenn man bedenkt, daß Eure Drohung,
wenn Ihr sie wahr gemacht hättet, die gleichen Folgen nach sich gezogen hätte.«
Der Vicomte
machte ein paar Schritte auf sie zu. Auf seinem Gesicht spiegelten sich seine
widerstreitenden Gefühle. Als er vor Gwen stand, griff er nach ihrer Hand und
zog sie sanft an seine Lippen. »Gwendolyn, mein Liebling, ich hatte nie die Absicht,
Euch weh zu tun ... nicht einmal in tausend Jahren. Mich verlangte nach Euch,
so einfach ist das. Ich wäre niemals zu Waring gegangen, aber ich war bereit,
Euch das glauben zu lassen. Ich hätte alles getan, nur um Euch zu besitzen.«
Gwen
versuchte, seinen Blicken auszuweichen, doch St. Cere nahm ihr Kinn in die Hand
und zwang sie, ihn anzusehen.
»Ich hätte
so etwas niemals getan, Gwen. Niemals hätte ich Euch weh tun wollen. Bis zum
heutigen Abend war ich mir allerdings über den Grund nicht klar. Doch nun weiß
ich ihn – ich liebe Euch nämlich.«
Gwen
heftete ihren Blick auf sein Gesicht, auf dem sich im schwachen Lichtschein des
Feuers Bedauern, Furcht und Hoffnung spiegelten.
»Ich habe
geschworen, daß ich niemals wieder heiraten würde«, gestand er ihr freimütig.
»Mein Leben mit Elizabeth war die Hölle. Ich habe Matthew verspottet. Ich habe
geschworen, daß mich ein Heim nicht interessiert ... auch nicht eine Familie.
Aber immer, wenn ich Euch sah, kam mir der Gedanke – wie würde mein Leben wohl
mit einer Frau wie Gwen verlaufen?«
Gwen
schüttelte stumm den Kopf.
»Ich könnte
Euch glücklich machen, Gwen. Ich habe etwas zu bieten, was Euch die meisten
Männer nicht bieten können.«
Sie legte
den Kopf ein wenig zurück, um ihm gerade ins Gesicht sehen zu können. »Und was
ist das?« fragte sie leise.
»Eure
Freiheit. Die Möglichkeit, die Welt kennenzulernen. Ich kann Euch Dinge zeigen,
die Ihr Euch nie würdet vorstellen können. Ich kann Euch zu Orten bringen, die
Ihr nicht einmal in Euren Träumen zu sehen gehofft habt. Und wenn es Zeiten
gibt, wo Ihr Euch als Mann verkleiden müßt, um das erleben zu können, dann ist
mir das egal, solange ich nur bei Euch sein kann, um Euch zu beschützen. Ihr
könnt Euer Buch schreiben, Gwen. Welcher Ehemann würde Euch das sonst erlauben?
«
Sie
schüttelte noch einmal den Kopf, diesmal allerdings nicht mehr so heftig. »Ihr
würdet meiner müde werden, Adam. Und ich würde Euch niemals teilen können. Das
ist etwas, was ich gelernt habe.«
Ein helles
Lächeln breitete sich in seinem markanten Gesicht aus und vertrieb die
Düsternis. Er sank vor ihr auf ein Knie. »Ich liebe Euch, Gwen Lockhart. Ich
will keine andere – jetzt nicht und niemals mehr. Sagt, daß Ihr mich heiraten
werdet bitte?«
Über Adams
Kopf blickte Gwen zu Jessie, die im Schatten stand und die beiden beobachtete.
»Was soll ich tun, Jess? Ich liebe Adam, doch ich will nicht noch einmal
verletzt werden. Ich habe Angst, Jess. Ich habe noch nie zuvor solche Angst gehabt.«
Jessies
Herz flog ihr entgegen. Sie wollte ihr sagen, daß sie jeden Tag Angst hatte,
daß, selbst wenn Matthew die bevorstehende Schlacht überlebte, noch immer die
Möglichkeit bestand, daß sie ihn für immer verlor. Er liebte sie nicht. Er
vertraute ihr nicht einmal. Und wenn er
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