Stachel der Erinnerung
Männer durch die
Luft, die mit gebrochenen Armen oder Beinen liegenblieben. In der nun
aufgewühlten See kämpfte die Flotte weiter, das Meer war vom Rauch verhangen,
im Wasser dümpelten Holzstücke und zerrissene Segel. Matts Nase brannte vom
scharfen Geruch des Schießpulvers. Sein Körper war bedeckt mit Schweiß und
Schwarzpulver, der Himmel war dunkel vor Qualm. Er war so dick, daß er die
Sonne verdunkelte.
Die
Schlacht ging den größten Teil des Tages weiter, die Schwerbeschädigte Norwich wurde von drei verschiedenen Schiffen unter Feuer genommen. Ein Dutzend
Seeleute arbeitete an Deck, um die Trümmer beiseite zu räumen, damit die Kanonen
weiter abgefeuert werden konnten. Matts Uniform war zerrissen und voller
Schießpulver, die weiße Hose hatte Blutspritzer.
»Haltet
Euch bereit!« schrie er, als die Rahnock der Norwich ein spanisches
Schiff traf, die San Justo. Matt hörte das laute Splittern von Holz und
das Knirschen von Metall, als die beiden Schiffe zusammenstießen. Aus einer so
kurzen Entfernung dröhnten das ohrenbetäubende Krachen der Kanonen und die
Erschütterung des Schiffes in seinem Kopf, und in seinen Ohren summte
es. Kanonen donnerten. Männer stolperten umher und schrien vor Schmerzen.
Seeleute schoben die toten Männer über Bord, um Platz für die Verwundeten zu
schaffen.
»Werft die
Enterhaken!« befahl Matt, und ein paar Sekunden später kletterte eine Mauer
von britischen Seeleuten auf die verwüstete San Justo hinüber. Sie
eroberten sich den Weg über das Deck, kämpften Mann gegen Mann mit den rauhen
spanischen Seeleuten, die wiederum an Bord der Norwich drängten.
Mit dem
kurzen Säbel in der Hand kämpfte sich Matt neben seinen Männern den Weg frei
zu einem der Deckhäuser. Seine Hände waren klebrig vom Blut, er biß die Zähne
aufeinander, entschlossen, das spanische Schiff zu besiegen. Noch
entschlossener war er, den Kartätschenschüssen und dem Feuer aus den Musketen
zu entgehen, die ihn zum Krüppel machen würden, und auch den Kanonenschüssen
und den tödlichen Klingen der Säbel und Schwerter.
Er war
entschlossen, zu Jessie nach Hause zurückzukehren.
Er blockte
den rasenden Schlag einer Klinge ab, und ihr Bild stand vor seinem inneren
Auge. In den Stunden der blutigen Schlacht und der gnadenlosen Zerstörung war
ihm endlich die Echtheit seiner Gefühle für sie überdeutlich geworden. Er
liebte Jessica Fox – mehr als sein eigenes Leben. Sie zu verlieren wäre so, als
würde er eines der Glieder seines Körpers verlieren.
Ein Seemann
hechtete über die Reling, sein blutiges Schwert hoch über dem Kopf erhoben. Er
ließ es mit Wucht hernieder sausen. Es zischte durch die Luft genau auf
Matthews Kopf zu. Er wirbelte herum, wehrte den Schlag ab, merkte aber dann,
wie die Klinge in seinen Arm fuhr. Er fühlte den scharfen Schmerz und sah das
Blut spritzen. Seine eigene Klinge bohrte sich tief in den gegnerischen Körper,
und der Seemann brüllte auf vor Qual. Seine Waffe fiel ihm aus der Hand, und er
sank in einer Blutlache zusammen.
Ein Spanier
schwang sich aus der Takelage. Matt feuerte seine Pistole ab, und der Mann fiel
auf Deck, doch zwei weitere Männer ersetzten ihn sofort. Matts Säbel verletzte
den einen an der Hand, in der er die langläufige Pistole hielt. Der Schuß lö
ste sich, als die Waffe zu Boden fiel. Der zweite Mann nützte den Augenblick
aus, den Matt gebraucht hatte, um dem ersten auszuweichen. Er zielte auf Matt,
schoß – und traf. Ein sengender Schmerz durchzuckte Matt.
Er
klammerte sich an die Reling, als er zurückstolperte und gegen die Dunkelheit
ankämpfte, die sich seiner bemächtigen wollte. Er hob den Säbel, um den
tödlichen Schlag des Spaniers abzuwehren, er kämpfte gegen den Tod. Die Chancen
für sein Überleben standen eins zu tausend.
Er schwang
mit letzter Kraft noch einmal seinen Säbel – und bohrte ihn tief in seinen
Gegner. Matt stürzte gegen die Reling. Er dachte wieder an Jessie und wünschte,
er hätte ihr gestanden, daß er sie liebte.
Er betete,
daß Graham überleben würde, damit er es ihr wenigstens sagen konnte. Sie
sollte wissen, daß er so viel und vor allem an seinem Ende an sie gedacht
hatte. Ach, er hätte so gerne überlebt, um mit ihr zusammen Kinder zu haben.
Er wollte,
daß sie erfuhr, daß sie seine ganze Welt war.
Statt
dessen drohte ihn die Dunkelheit zu verschlingen. Er sank auf Deck. Vor seinen
Augen sah er nicht länger die Bilder von Tod und Zerstörung. Erinnerungen an
Jessie
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