Stachel der Erinnerung
erinnere, tut Ihr doch immer genau das, was
Ihr wollt.«
Jessie
antwortete nicht. Ihr Gesicht war verschlossen. Er konnte nicht erkennen, was
sie dachte oder fühlte. Ihre Hände zitterten, als sie die Papiere auf ihrem
Pult ordnete, doch als sie sich aufrichtete, war ihr Rücken gerade und ihr Kinn
hoch erhoben.
»Ich muß
jetzt gehen«, erklärte sie und wollte sich an ihm vorbeischieben.
Matt hielt
ihren Arm fest. »Es war doch nur ein Kuß, Miss Fox.«
Sie wandte
sich um und schien durch ihn hindurchzusehen. »Tut das nie wieder«, sagte sie
tonlos. Und damit verschwand sie.
Matthew
starrte ihr nach. Er war noch immer erregt. Seine Erregung drängte sich
schmerzhaft gegen den enganliegenden Stoff der Hose. Nein, er würde sie nicht
wieder küssen. Er begehrte sie – ja –, und wenn sein Vater nicht wäre, würde
er alles tun, was in seiner Macht stand, um sie in sein Bett zu bekommen. Aber
er würde sie auf keinen Fall heiraten.
Caroline
Winston würde seine Frau werden und nicht die Tochter von Eliza Fox, ganz
gleich, wie verlockend die kleine Hexe auch geworden war.
In den
nächsten Tagen
schwor sich Matt, sich soweit wie möglich von Jessie Fox fernzuhalten. Die
meiste Zeit schaffte er das auch recht gut. Bei den Mahlzeiten konnte er ihr
jedoch nicht aus dem Weg gehen, und mehrere Male begegnete er ihr zufällig
irgendwo im Haus. Fast jeden Vormittag und einen vollen Tag in der Woche
verbrachte sie im Schulhaus und unterrichtete die Kinder im Lesen, Schreiben
und Rechnen.
Wenn sie
nicht bei den Kindern war, so hatte Matt festgestellt, saß sie in der
Bibliothek von Belmore und studierte Bücher in französischer oder lateinischer
Sprache. Sie las die Morgenzeitung von der ersten bis zur letzten Seite und
nahm jede Einzelheit mit einem Verstand auf, der so nach Wissen dürstete, wie
Matt es bei keinem Menschen je erlebt hatte.
Wie auch
immer seine Meinung von ihr sein mochte, sie war ernsthaft bemüht, sich zu
bilden. Bis zu welchem Ausmaß, das ahnte er nicht. Sie war intelligent und
diskutierte freimütig über Themen, die ihr am Herzen lagen. Im übrigen machte
sie nichts als Schwierigkeiten.
Wie zum
Beispiel an dem Morgen eine Woche nach seiner Ankunft. Da war Jessie mit einem
zerrissenen Kleid und wild zerzaustem Haar ins Haus geschlichen.
»Was zum
Teufel ist mit Euch geschehen?« hatte er sie angefahren.
Brennende
Röte war in ihre Wangen gestiegen. »Der Ball der Kinder ... er ist in einem
Bergahornbaum steckengeblieben. Ich mußte raufklettern und ihn runterholen.«
Er feixte
spöttisch. »Wenn ich mich recht erinnere, Miss Fox, dann konntet Ihr schon
immer sehr gut auf Bäume klettern.«
Sie
erstarrte kurz bei seinen Worten. Dann reckte sie ihre zierliche kleine Nase in
die Luft und marschierte wortlos die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Matt ließ sie
einfach stehen.
Ein anderes
Mal erwischte er sie dabei, wie sie mit einem Hausierer stritt, der seine Waren
verkaufen wollte. Sie behauptete, der Mann hätte die Frau des Küfers beim
Preis der Waren betrogen, und verlangte von ihm, daß er der Frau das Geld
zurückgab. Sie schrien sich gegenseitig an und hätten damit wahrscheinlich auch
nicht so schnell aufgehört, wäre er nicht dazwischengetreten und hätte dem
Ganzen ein Ende bereitet.
Zweimal
ertappte er sie dabei, wie sie sich ins Haus stahl mit einem Kleid voller Lehm,
einmal hatte sie sogar Lehmspuren im Gesicht. Der Himmel allein wußte, wie sie
das anstellte.
Doch
eigentlich machte ihm das nichts aus. So wunderschön sie war und sosehr er sie
begehrte, Jessie Fox war noch immer Jessie Fox. Unter ihrer polierten Fassade
war das Mädchen eigensinnig und erpicht darauf, Unruhe zu stiften. Matt biß
die Zähne zusammen. Selbst wenn Jessies Vergangenheit kein Problem wäre – eine
Angelegenheit, die sein Vater bis jetzt hatte verbergen können –, so war sie
doch das genaue Gegenteil all dessen, was er von einer Frau verlangte.
Er wollte
eine Frau, die anschmiegsam war und die sich leiten ließ, ein Mädchen mit
einem ausgeglichenen Temperament wie Caroline, eine Frau, die ihm Kinder
gebären würde mit dem gleichen sanften Wesen.
Jessie Fox
war von dieser Idealfrau Tausende von Meilen entfernt.
Reginald Seaton, Marquis von Belmore, saß am
Kopf des langen, polierten Mahagonitisches. Sein Sohn saß zu seiner Rechten,
sein Mündel zu seiner Linken – die beiden Menschen, die ihm auf der Welt am
meisten bedeuteten.
Jeden Abend
seit Matthews Ankunft hatten die drei sich zum
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