Stachel der Erinnerung
ja«,
nickte Jessica. »Ich kenne sie.« Sie fügte nicht hinzu, daß Frances
Featherstone eine giftige kleine Klatschbase war, die über nichts und niemanden
ein gutes Wort verlor, und ganz besonders nicht über Jessie. Sie fragte sich,
ob Lady Caroline vielleicht genauso war, doch dann schob sie den Gedanken von
sich. Bestimmt würde Matthew eine solche Frau durchschauen. Außerdem war es
nicht nett, eine Frau zu verurteilen, die sie kaum kannte, nur weil sie
eifersüchtig auf sie war.
Sie
betrachtete Caroline Winston genauer. Sie war so groß wie sie, von schlanker
Gestalt, mit hellbraunem Haar und tiefliegenden braunen Augen. Sie trug ein
bescheidenes, aber doch elegantes Kleid aus rosa Seide, verziert mit
gestickten Rosen. Zusammen mit ihrer modischen, mit Rosen besetzten Haube gab
ihr das ein unschuldiges Aussehen, eine spröde Reinheit, die sie von den
anderen Frauen unterschied.
Jessies
Magen zog sich zusammen, und ihr Hals wurde trocken. Sie hatte die Worte nicht
vergessen, die Matthew seinem Vater gesagt hatte. Caroline Winston war die
Frau, die er heiraten wollte. Sie war das Abbild eleganter Vornehmheit, die
Frau, die sich jeder Mann zu seiner Lebenspartnerin wünschte.
Sie setzten
sich alle zusammen in den Salon, Matthew neben Lady Caroline, der Marquis neben
Jessie. Papa Reggie bat den Butler, Tee und Kuchen zu bringen. Wenig später
wurde alles auf einem silbernen Tablett serviert, in kostbarem Sèvres-Porzellan.
Reginald Seaton sah heute müde aus. Um seinen Mund hatte sich eine tiefe Linie
gegraben.
Matthew
dagegen schien gut gelaunt. Wenn er Caroline Winston ansah, tat er das mit
einem warmen, freundlichen Blick, ganz anders, als er mich mustert, dachte
Jessie. Er fühlte sich wohl bei dieser Frau, auf eine Art, wie er es bei ihr
niemals tat. Jessies Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und die Teetasse
klirrte zu laut, als sie sie auf den Unterteller zurückstellte.
»Ich habe
gehört, Ihr kommt irgendwo aus dem Süden«, begann Lady Caroline die
Unterhaltung.
»Devon«,
antwortete Papa Reggie für sie.
»Meine
Familie ist im letzten Jahr nach Exmouth gereist.« Matthew lächelte. »Wie ich
höre, ist dieser Ort mittlerweile sehr in Mode gekommen.«
Caroline
nickte. »Vater hat einen Bruder dort. Vielleicht kennt Onkel Henry ja Euren
Vater«, wandte sie sich an Jessie.
»Ich
fürchte, das ist nicht sehr wahrscheinlich«, wehrte Papa Reggie ab. »Simon Fox
lebte sehr zurückgezogen. Er wohnte in der Nähe von Bodmin, er und Jessica. Viehzüchter
war er, ein richtiger Mann vom Land, er reiste nicht gern. Stimmt's, meine
Liebe?«
»Ja, wir
gingen überhaupt nicht viel unter Menschen. Meine Mutter war gestorben, müßt
Ihr wissen, und Vater war nicht sehr gesund. Er brauchte viel Fürsorge. Ich
fürchte, ich bin in meinem Leben nur sehr wenig herumgekommen.« Ihr Blick traf
den des Marquis in geheimem Einverständnis, dann sah sie wieder Caroline an
und zwang sich zu einem Lächeln.
»Ich nehme
an, Ihr seid viel unterwegs«, versuchte sie, die Unterhaltung in eine andere
Richtung zu lenken.
»Ja. Meine
Familie besitzt noch mehrere Landgüter außer Winston House. Ein recht großes
davon liegt nördlich von Bedford. Dort wohnen wir, wenn wir nicht gerade hier
sind oder in der Stadt.«
»Ich würde
wirklich gern etwas über London hören. Lord Belmore sagt, Eure Familie
verbringt dort in jedem Jahr die Saison. Es muß schrecklich aufregend sein.«
Caroline
lachte, ein sanftes, feminines Lachen. Dann erging sie sich ausführlich über
die Bälle, die Soirées und Empfänge, die sie in jedem Jahr in der Stadt
besuchte. Sogar Matthew zog anerkennend eine Augenbraue hoch, weil es Jessica
gelungen war, die Unterhaltung von sich selbst auf ein anderes Thema zu lenken.
Sobald sie
den Tee getrunken hatten, entschuldigten sich Jessica und der Marquis. Leider
bedeutete das gleichzeitig, daß Caroline und Matthew allein blieben. Er bat
sie, ihn auf einem Spaziergang durch die Gärten zu begleiten, und sie verließen
fröhlich den Salon. Beide hatten eifrig die Köpfe zueinander gebeugt, als sie
durch die Tür verschwanden.
Von ihrem
Schlafzimmer aus beobachtete Jessica, wie die beiden über die mit
Muschelschalen bestreuten Wege schritten, ab und zu stehenblieben und eine Rose
oder einige Tulpen betrachteten. Matthew lachte über etwas, das Caroline
gesagt hatte. Er legte den Kopf zurück, und sein Lächeln war vergnügt und
strahlend. Jessie beobachtete sie auf dem ganzen Weg, und ihr Herz war
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