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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Martin
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die wesentlich enger saß als damals. Das Hemd konnte sie gerade
noch über der Brust schließen. Nach dem Regen in der letzten Nacht waren die
Felder aufgeweicht, und sie war keine so gute Reiterin. Sie wagte es nicht, im
Damensattel zu reiten, obwohl der Marquis darauf bestand. Sie nahm an, daß sie
es zeitlich nur schaffen konnte, wenn sie im Herrensitz ritt. Außerdem würde
außer den Stallknechten niemand sie sehen, und die waren alle ihre Freunde.
    Sie nahm
einen braunen Filzhut aus dem Bündel und verstaute ihr Haar unter dem breiten
Rand. Dann lief sie aus ihrem Zimmer zur Dienstbotentreppe im hinteren Teil
des Herrenhauses.
    Im Stall
befahl sie Jimmy Hopkins, einem der Stalljungen, die kastanienbraune Stute zu
satteln, die sie auch sonst ritt. Er zog ihr die Steigbügel unter dem flachen
Ledersattel zurecht und half ihr aufzusteigen. Er grinste, als er sie auf den
Rücken des Pferdes schob.
    »Viel
Glück, Miss Jessie.«
    »Danke,
Jimmy .« Sie legte einen Finger an die Krempe ihres breitrandigen Filzhutes,
dann beugte sie sich über den Hals des Pferdes und bohrte die Fersen in den
Leib des Tieres. Sie hoffte, daß sie oben bleiben würde, und betete, daß jemand
Anne und dem Baby helfen könnte.
    »Hallo, Vater.« Kapitän Matthew Seaton,
Graf von Strickland, Kommandeur des Kanonenbootes Seiner Majestät, der Norwich, schloß leise die Tür der
herrschaftlichen Suite seines Vaters in Belmore Hall hinter sich. Der alternde
Marquis von Belmore, der in seinem massiven Himmelbett ruhte, lehnte sich in
die Seidenkissen zurück, die vor dem Kopfteil aus Mahagoniholz lagen.
    Beim Klang
der tiefen Stimme seines Sohnes öffnete er die Augen einen Spalt, und sein Mund
verzog sich zu einem Lächeln. »Matthew! Sohn! Ich habe mich schon gefragt, ob
meine alten, müden Augen dich je wiedersehen würden.« Er streckte Matthew seine
faltigen Hände entgegen, und Matthew ergriff sie. Dann beugte er sich vor und
drückte unerwartet seinen Vater leicht verlegen an sich.
    »Ich habe
dich vermißt, Vater.« Er hielt ihn noch einen Moment in seinen Armen, eine
seltene Liebesbezeugung von einem Mann, der beinahe die Hälfte seiner dreißig
Jahre damit verbracht hatte, zu lernen, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
    Kapitän in
der Kriegsflotte Seiner Majestät zu sein verlangte eiserne Beherrschung. Doch
irgendwann würde er die Marine verlassen und seine Pflichten als Sohn und Erbe
übernehmen, da sein älterer Bruder Richard bei einem Reitunfall ums Leben
gekommen war. Und er machte sich Sorgen um seinen Vater.
    »Tritt
einen Schritt zurück, mein Junge, und laß dich ansehen. Du liebe Güte, es ist
schon mehr als zwei Jahre her, seit du das letzte Mal hier warst.«
    Matt trat
gehorsam zurück und fragte sich, ob sein Vater die kleinen Fältchen bemerken
würde, die sich in den Winkeln seiner tiefblauen Augen gebildet hatten. Seine
Haut war durch den langen Aufenthalt in der Sonne zu einem dunklen Bronzeton gebräunt.
Sein Haar besaß nach wie vor den dunklen goldblonden Ton. Doch war es jetzt
länger. Im Nacken reichte es an den breiten, weißen Stehkragen, und die
Haarspitzen waren von der Sonne heller gebleicht.
    »Wenn ich
es nicht besser wüßte«, sagte der alte Herr und lachte leise, »dann würde ich
schwören, daß du noch ein Stück gewachsen bist, mein Junge.«
    »Aus dem
Wachstumsalter bin ich wohl heraus, Vater.« Matt lächelte und überlegte, daß er
wahrscheinlich jetzt ein paar Muskeln mehr an den Armen hatte und eine etwas
breitere Brust. An Bord eines Schiffes gab es immer viel Arbeit, sogar für
einen Kapitän. »Ich entschuldige mich für meine Kleidung. Ich wollte mich
eigentlich erst umziehen. Doch als ich das Haus betreten hatte, konnte ich es
nicht erwarten, dich wiederzusehen.«
    »Du siehst
gut aus, mein Junge – wundervoll sogar. Ein prächtiger Anblick für meine müden,
alten Augen.«
    In seinem
dunkelbraunen Frack, den rehfarbenen Reithosen mit dem weißen Hemd und den hohen
Schaftstiefeln war Matt, gleich nachdem er dem wartenden Lakaien die Zügel
seines in Portsmouth gemieteten Pferdes gereicht hatte, sofort zum Zimmer
seines Vaters geeilt.
    »Ich hoffe,
ich habe dich nicht gestört. Ich wußte nicht, daß du dich ausruhen wolltest.«
    »Unsinn.
Ich verbringe doch lieber meine Zeit mit dir, als den ganzen Tag dösend in
meinem Bett zu liegen.«
    Matthew
lächelte. »Ich freue mich, dich zu sehen, Vater. Es ist ein herrliches Gefühl,
wieder zu Hause zu sein.«
    Sie
unterhielten sich

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