Stachel der Erinnerung
auf und ab lief. Schließlich wurde es still. So müde Jessie auch war,
es dauerte noch bis zur Morgendämmerung, ehe sie endlich in einen unruhigen
Schlummer fiel.
Matt
verbrachte den
Morgen bei seinem Anwalt. Wendell Corey arbeitete für seinen Vater und
erledigte auch die Angelegenheiten seines eigenen Besitzes, des Herrenhauses
von Seaton. Matt wollte sichergehen, daß auch während seiner Abwesenheit alles
glattlief.
Die
Besprechung dauerte länger, als er beabsichtigt hatte. Es gab Probleme mit
einigen Pächtern, einige ungeklärte Diebstähle, und etliche Pachten waren
nicht bezahlt worden. Er würde froh sein, wenn er endlich für immer zu Hause
war und all diese Probleme selbst in die Hand nehmen konnte.
Als die
Besprechung endlich vorüber war, winkte er an der Threadneedle Street eine
Kutsche herbei und ließ sich nach St. James fahren. Dort betrat er wenig später
Brooks, einen der ältesten und respektiertesten Herrenclubs von London. Mit
dem schwarzweißen Marmorfußboden, den bemalten Decken und den römischen Büsten
strahlte der Club eine gewisse Vornehmheit aus – genau der richtige Ort, um
für eine Weile seine Sorgen zu vergessen.
Er musterte
die Menschen an den Spieltischen und entdeckte einige Bekannte, doch sein Weg
führte ihn schnurstracks zur Bar. Er war gekommen, um ein wenig Ablenkung zu
finden. Doch leider dauerte es nicht lange, bis er feststellte, daß er nicht am
richtigen Ort dafür war.
Die Hälfte
der Männer redete über nichts anderes als über den Herzog von Milton und seine
bevorstehende Hochzeit. Sie spekulierten darüber, ob die bezaubernde Miss Fox
ihm einen Erben schenken würde – in weniger als den üblichen neun Monaten.
Es wurde
sogar darauf gewettet. Die Wette ging über fünftausend Pfund, zwischen St.
Cere und dem Baron Densmore.
Matt
lächelte zynisch, als er in das Wettbuch starrte. Sein alter Freund Adam
Harcourt hatte sich in Matts Augen allerdings seine Achtung wiedererworben,
weil er ein kleines Vermögen darauf wettete, daß es kein frühgeborenes Baby
geben würde.
»Was denkt
Ihr, Strickland?« Lord Montague schlenderte zu Matt hinüber, der an einem Glas
Gin nippte. Er trank nicht sehr viel und niemals während des Tages. Doch heute
hatte er das dringende Bedürfnis, sich einen kräftigen Schluck zu genehmigen.
»Ihr kennt doch das Mädchen besser als wir alle hier. Wird Densmore gewinnen,
oder wird der Gewinner St. Cere heißen?«
Matt hatte
Montague noch nie leiden können. Der Mann war aufgeblasen und ein Angeber, ein
überheblicher Tölpel, der es genoß, wenn andere unter ihm litten. »Ich erinnere
Euch, Lord Montague, daß die Dame, um die es hier geht, das Mündel meines
Vaters ist. Es würde ihm nicht gefallen, wenn er Eure vulgären Anspielungen
hören könnte, und mir gefällt das auch nicht.«
Der
muskulöse Mann lachte nur. »Sie ist ein recht hübsches Mädchen. Einigen von uns
hier ist der Gedanke gekommen, daß Ihr selbst vielleicht sogar an ihr
interessiert seid. Ah, aber pardon, da ist natürlich auch noch Caroline
Winston.«
Ein Muskel
zuckte in Matts Wange, und er versuchte, die Beherrschung nicht zu verlieren.
Er war zu Brooks gekommen, in der Hoffnung, Jessie vergessen zu können, die
Gefühle vergessen zu können, die er gestern abend in ihrer Nähe verspürt
hatte. Jede einzelne Minute war eine Tortur gewesen, jede Sekunde voller
Schmerz, Eifersucht und Lust. Sie hatte nie zuvor so begehrenswert ausgesehen,
so weiblich, nie war sie ihm verlockender erschienen.
Den ganzen
Abend lang hatte er mit den Erinnerungen an das Feuer gekämpft, daran, wie er
sie geküßt hatte, wie er seine Hände um ihre Brüste gelegt hatte. Er mußte
ständig daran denken, daß Jessie ihm hätte gehören können statt dem Herzog,
hätte er nur früher gehandelt – oder hätte Jessie gewartet. Das Verlangen in
Jeremys Augen, wann immer er sie ansah, hatte in Matt ein Gefühl der Übelkeit
ausgelöst. Wenn das Essen nicht zu Ende gewesen wäre, hätte er sich wohl
übergeben müssen.
Er sah
Montague mit eisigem Blick an. »Mein Vater macht sich Sorgen um die Zukunft von
Miss Fox. Er hat sich in letzter Zeit nicht sehr wohl gefühlt, und er ist
entschlossen, sie versorgt zu wissen. St. Cere wird die Wette gewinnen.«
Er
erinnerte sich wieder an Jessies Gesichtsausdruck, als sie ihn gesehen hatte.
Einen Moment lang hatte er geglaubt, sie würde ohnmächtig werden. Sie hatte
sich über seine Anwesenheit zu ihrer Hochzeit nicht gefreut – soviel
Weitere Kostenlose Bücher