Stachel der Erinnerung
geben würde, was sie sich
wünschte. Jede Frau der Gesellschaft würde sie beneiden.
Eigentlich
sollte sie auf Wolken wandeln, sie sollte tanzen vor Freude und ganz benommen
sein vor Glück. Doch statt dessen war ihr Herz versteinert und ihre Brust wie
zugeschnürt. Sie hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand ein Messer in die Seele
gestoßen.
Oh,
Matthew, warum konntest du mich nicht lieben? Doch natürlich war das nicht sein
Fehler. Die Liebe war launisch. Sie konnte Matthew nicht dazu zwingen, sie zu
lieben, genausowenig, wie sie sich selbst befehlen konnte, damit aufzuhören,
ihn zu lieben.
Sie zog den
gefütterten Umhang fester um ihre Schultern, dann rollte sie sich auf ihrem
Bett zusammen und zog die Knie unters Kinn. Tränen brannten in ihren Augen, und
ein dicker Kloß saß in ihrem Hals.
Sie biß die
Zähne zusammen, entschlossen, die Tränen zurückzudrängen. Sie hatte keinen
Grund zu weinen.
Überhaupt
keinen.
Sie würde
einen sehr netten jungen Mann heiraten, einen Mann, der sie gut behandeln und
ihr eine Familie schenken würde, etwas, das sie niemals zu hoffen gewagt hatte.
Er war ein Mann, der eine gute und treue Ehefrau verdient hatte. Und das würde
sie ihm sein, schwor sie sich zum ungezählten Mal. Sie würde alles tun, was in
ihrer Macht stand, um Jeremy Codrington glücklich zu machen.
Sie hoffte
nur, daß sie in diesem Bemühen Matthew Seaton vergessen und ein wenig eigenes
Glück finden würde können.
Der
Nachtwächter rief
die volle Stunde aus, als Matt die Tür des Cock and Hen aufstieß, eines
wohlbekannten Dirnenhauses in der Sloane Street, das er früher öfter besucht
hatte. Seit Stunden schon hatte er getrunken, zuletzt im Crown and Garter in
der Chancerey Lane, davor im Globe in der Fleet Street, der White Dove und noch
einem halben Dutzend anderer obskurer Lokale in der Drury Lane.
Er war zum
Cock and Hen gewankt, weil er Sophie Stephens kannte, die Eigentümerin.
Betrunken, wie er war, wurde ihm trotzdem klar, daß er bald ein Bett finden
mußte – anderenfalls er zusammengeschlagen und ausgeraubt in einer Seitenstraße
landen würde.
Außerdem war
er entschlossen, sich eine hübsche kleine Dirne zu kaufen und den Rest der
Nacht – viel blieb davon nicht mehr übrig – in ihrem Bett zu verbringen.
Er
stolperte an dem riesigen Mann vorüber, der neben der schweren Eingangstür
Wache stand, und betrat das verräucherte Innere. Halbleere Spieltische standen
an einem Ende des Raumes, wo die Männer Whist, Faro, Quinze oder Hazard
spielten. Sie wetteten auf die Lotterie oder tranken einfach nur. Die anderen
Gäste des Etablissements flirteten mit den käuflichen Damen oder lagen schon
im oberen Stockwerk in den Armen einer nackten Dirne.
Und genau
das hatte Matt vor. Wenigstens versuchte er sich das einzureden. Bis jetzt
hatte er es nur geschafft, sich zu betrinken.
Er bahnte
sich den Weg zur Bar. Dort entdeckte er Sophies roten Lockenkopf. Er lächelte
ein wenig schief, als sie auf ihn zukam. Ihre breiten Hüften schwangen in
einer sinnlichen, fraulichen Bewegung, die so alt war wie das Gewerbe, das sie
ausübte.
»Na, da
sieh doch mal einer an, wen wir hier haben.« Sie betrachtete ihn von Kopf bis
Fuß und registrierte sein etwas unordentliches Aussehen. Sein Überrock war
offen und hing ihm leicht schräg auf den Schultern, sein Kragen war geöffnet
und wippte um seinen Hals. »Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann Ihr
uns mit Eurem letzten Besuch beehrt habt, Mylord. Willkommen zurück.«
»Danke,
Sophie.«
»Was wollt
Ihr trinken, Lieber?«
Er
betrachtete stirnrunzelnd das leere Glas in seiner Hand, das er aus dem letzten
Gasthaus mitgenommen haben mußte. »Gin. Und nicht zu knapp. Ich habe vor, noch
viel betrunkener zu werden.«
»Wie Ihr
wünscht, mein Lieber. Überlaßt nur alles Sophie.«
Er sah ihr
nach, als sie zur Bar ging, setzte sich an einen der Tische und betrachtete
uninteressiert die Menschen um sich herum. Dicker Zigarrenrauch waberte unter
der Decke und mischte sich mit dem schwachen Geruch nach Sex. Durch seine
Trunkenheit dauerte es einen Moment, bis er bemerkte, daß einer der Männer auf
ihn zukam. An seinen Arm klammerte sich eine nur leicht bekleidete Brünette.
Es dauerte
einen weiteren Augenblick, bis er erkannte, daß der Mann St. Cere war. Der Rock
des Vicomte stand offen, sein Haar war zerzaust und sein Hemd bis zur Taille
aufgeknöpft. Er war genauso betrunken wie Matt, doch schien er wesentlich
glücklicher darüber zu
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