Stachelzart
Grautönen lud zum Sitzen ein und geschmackvolle moderne Bilder zierten die Wände. An der rechten Wandseite brannte ein Kaminfeuer und machte den Raum mollig warm.
„Wow, das ist ja richtig schick hier!“, staunte ich.
„Ja, nicht wahr. Das sieht man von außen gar nicht“, meinte Herr Wagner. „Nebenan ist noch ein kleines Schlafzimmer mit Dusche und WC und dort hinter dem Vorhang ist eine kleine Miniküche versteckt.“ Er zog den Vorhang an der linken Wandseite zurück und eine kleine Küchenzeile mit Gasherd, Spüle und zwei Oberschränken wurde sichtbar. „Nehmen Sie Platz, ich mache uns einen Tee.“ Er deutete auf die Sitzgruppe.
Ich betrachtete meine dreckverschmierte Jeans.
„Haben Sie vielleicht ein Handtuch, auf das ich mich setzen kann?“, fragte ich. „Ich möchte Ihr Sofa nicht beschmutzen!“
„Blödsinn! Nehmen Sie bitte Platz. Das muss das Sofa abkönnen“, entgegnete Herr Wagner.
Wie sympathisch. So ganz anders als Vera. Die würde ausrasten, wenn ich mich so auf ihre komische Ludolf Lenz Couch setzen würde, dachte ich und ließ mich erschöpft von unserem Fußmarsch auf das Sofa sinken. Vera betrachtete meine verschmierte Hose und rümpfte die Nase. Dann nahm sie auf der Sofakante Platz, die Beine akkurat nebeneinander gestellt, den Rücken durchgedrückt.
Wie eine Schaufensterpuppe, dachte ich und lehnte mich noch weiter in die Kissen zurück. Vera blitzte mich böse an.
„So, dann mal raus mit der Sprache. Wie komme ich zu der Ehre Ihres Besuches?“ Samuel Wagner stellte zwei dampfende Becher mit Tee auf den kleinen Couchtisch aus Wurzelholz.
Vera nahm ihre Handtasche auf den Schoß und holte einen dicken Briefumschlag heraus. „Ich bin Immobilienmaklerin und einer meiner Kunden interessiert sich sehr für ihr Grundstück. Er hat ein interessantes Angebot für Sie. Ich hätte auch vorher einen Termin mit Ihnen ausgemacht, aber Sie sind ja nicht erreichbar.“ Ihr Tonfall klang leicht vorwurfsvoll.
Das eben noch so entspannt wirkende Gesicht von Samuel Wagner verzog sich zu einer missmutigen Grimasse. „Liebe Frau Schneider, ich fürchte, Sie haben den langen Weg umsonst gemacht. Dieses Grundstück ist unverkäuflich!“
Vera schob ihm den Briefumschlag zu. „Mein Kunde sagte mir schon, dass Sie eventuell so reagieren würden. Aber sehen Sie sich seinen Vorschlag wenigstens an!“
Samuel Wagner war zu höflich, um den Umschlag ungeöffnet zurück zu schieben. Also öffnete er ihn kommentarlos, nahm die Unterlagen heraus und begann zu lesen. Vera beobachtete ihn gespannt und nippte dabei an ihrem Tee. Ich fühlte mich unwohl. Nachdem Herr Wagner nun wusste, warum wir hier waren, schien er sich nicht sehr über unsere Anwesenheit zu freuen. Stirnrunzelnd überflog er die letzte Seite und reichte Vera dann die Unterlagen zurück. „Tut mir leid, aber das ändert gar nichts. Ich werde nicht verkaufen. Ich habe meine Gründe, warum ich hier wohne und ich möchte an diesem Ort bleiben. Soll ihr Kunde sein Projekt woanders verwirklichen.“
„Aber das Angebot ist doch wirklich mehr als großzügig“, begann Vera.
„Geld interessiert mich nicht mehr. Über dieses Stadium bin ich hinweg!“, fiel Samuel Wagner ihr ins Wort.
Vera verzog das Gesicht. „Das kann ich nicht verstehen“, hielt sie dagegen. „Mit dem Geld können Sie sich doch woanders eine richtige Luxushütte bauen.“
„Will ich aber nicht! Lassen Sie es einfach gut sein!“
Hui, wenn er in diesem Tonfall mit seinen Angestellten geredet hat, hat bestimmt keiner mehr widersprochen, dachte ich. Aber Vera wäre nicht Vera, wenn sie das in irgendeiner Art und Weise beeindruckt hätte. Sie schien niemals aufzugeben.
„Nehmen Sie sich doch ein bisschen Zeit und denken Sie in Ruhe darüber nach. Das müssen sie ja nicht jetzt entscheiden“, ließ sie einen ihrer üblichen Maklersprüche los.
„Oh, das kann ich aber durchaus jetzt entscheiden. Sie verschwenden Ihre Zeit mit mir. An meiner Entscheidung wird sich absolut nichts ändern!“
„Ich werde die Unterlagen mal hier lassen. Wir machen in der Nähe einen Kurzurlaub und ich komme nächste Woche auf dem Rückweg noch einmal vorbei. Dann sehen wir weiter!“
„Hören Sie, ich habe definitiv kein Interesse. Sie müssen nicht wiederkommen“, Herr Wagner schnaubte genervt.
„So einfach gebe ich nicht auf! Schlafen Sie ein paar Nächte drüber und wir sprechen uns in ein paar Tagen wieder“, konterte Vera, ließ die Unterlagen auf dem
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