Stachelzart
Couchtisch ab. Dann nahm ich erst einmal einen Mulltupfer und das Desinfektionsspray zur Hand, um Kays Wunde zu säubern.
„Hast du dich für uns hübsch gemacht?“, frotzelte Kay König und deutete auf meinen Pferdeschwanz. „Mir hast du auch mit den wilden Haaren gefallen!“
Was für ein unverschämter Typ! Ohne Kommentar sprühte ich ihm das Desinfektionsspray direkt auf die Wunde und hoffte, dass es schön brennen würde.
„Aua“, jammerte er. „Das brennt!“
„Du bist wohl empfindlich“, grinste ich und beendete meine Krankenschwesterarbeit, indem ich die Wunde abtupfte mit Jodsalbe eincremte und ein Pflaster darauf klebte. Zufrieden betrachtete ich mein Werk. Als Kindergartenkind hatte ich immer meine Stofftiere verarztet, was Vera sogar unterstützte und mir Unmengen an Verbandsmaterial schenkte. Wahrscheinlich hoffte sie, dass ich mich später dazu entschließen würde Ärztin zu werden. An der Ausübung des Arztberufes hatte ich zwar absolut kein Interesse, aber Pflaster aufkleben konnte ich immer noch ganz gut. „Fertig!“, erklärte ich.
„Danke“, murmelte Kay und betastete vorsichtig seine Stirn. Dann nippte er an seinem Tee und fing an zu erzählen, was genau passiert war und wie es ihn zu uns auf die Hütte verschlagen hatte.
Er hatte einen neuen Film in München gedreht, bei dem es am Ende zu einer großen Meinungsverschiedenheit mit dem Regisseur gekommen war. Kays und seine Vorstellungen von der Rolle gingen so weit auseinander, dass Kay sich schließlich völlig entnervt eine kurze Auszeit erbeten hatte und auf gut Glück in die Berge gefahren war. Dort wollte er den Kopf frei bekommen und sich von dem Drehstress der letzten Tage erholen. Das Wetter hatte ihm zwar schon zu denken gegeben, aber er wollte auch nicht wieder umkehren.
Im Internet hatte er eine kleine abgeschiedene Pension einige Kilometer von Sams Haus entfernt gefunden. Die Bilder versprachen zwar keinen großen Luxus, aber Kay reizte die Vorstellung unbehelligt von irgendwelchen Fans einige entspannte Tage zu verbringen. Auf der Hauptstraße, auf der auch Vera und ich lang gefahren waren, hatte auf einmal ein entwurzelter Baum gelegen und ein Durchkommen unmöglich gemacht. Deshalb war Kay auf den Schleichweg, der zu Sams Hütte führte, ausgewichen in der Hoffnung, dass er so auch irgendwie zum Ziel kommen würde. Doch er hatte mit seinem Audi auch nicht viel mehr Glück als Vera und ich mit dem Mercedes gehabt und war ebenfalls im Schlamm stecken geblieben. Veras Auto hatte er auf seinem Fußweg nach oben sogar gesehen und sich gewundert, wer mit Berliner Kennzeichen sein Auto dort stehen gelassen hatte. Als er das Bergplateau, auf dem Sams Hütte stand, fast erreicht hatte, hatte es plötzlich laut geknallt und die Erde unter seinen Füßen zitterte. Vor seinen Augen rutschte ein Teil des Hangs ab. Er sei so schnell er konnte nach oben gerannt und dabei kurz bevor er das Bergplateau erreicht hatte, über eine Wurzel gestolpert und mit dem Kopf gegen einen Baum geprallt, erzählte Kay. Danach habe er erst einmal einige Minuten lang Sternchen gesehen und kurz verschnaufen müssen. Anschließend sei er so schnell es ging, weiter gelaufen. Gerade noch rechtzeitig, denn wäre er stehen geblieben, wäre er wohl unter den Erdmassen begraben worden, die kurze Zeit später den Weg hinter ihm verschüttet hatten.
Als er seine Erzählung beendet hatte, nahm Kay einen kräftigen Schluck von seinem Tee. Dabei zitterte seine Hand leicht. Dass er dem Erdrutsch nur knapp entkommen war, hätte man, angesichts seines forschen Auftretens Sam und mir gegenüber, nicht gedacht. Er schien seine Emotionen gut kontrollieren zu können. Was für ein merkwürdiges Verhalten , dachte ich. Wahrscheinlich war es in der Welt des Glamours normal, Katastrophen erst einmal zu leugnen. Dennoch tat Kay mir ein bisschen leid. Er hatte genauso einen Schreck bekommen wie Sam, Vera und ich.
Draußen dämmerte es bereits und ich merkte, wie sich die Müdigkeit langsam in mir ausbreitete und meine Sinne lähmte. Das Adrenalin, das mein Körper während des Erdrutsches und der anschließenden Sorge um Vera ausgeschüttet hatte, schien sich verflüchtigt zu haben. Nun überkam mich eine bleierne Schwere.
Ich gähnte herzhaft. Wie gerne würde ich mich jetzt einfach irgendwo hinlegen und schlafen. Die gestrige Nacht und die heutigen Strapazen machten sich nun bemerkbar. Doch wo sollten wir schlafen? Das wir heute Nacht alle bei Sam
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